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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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war.
    Kleine Papierschildchen, mit einer krakeligen Handschrift beschrieben, klebten auf den Sockeln der beiden Skulpturen. Nautilus stand auf dem einen Etikett, Mutter und Kind auf dem anderen. Der Nautilus war aus graugeädertem rosafarbenen Marmor gehauen. Mutter und Kind waren aus weißem Marmor: zwei einander zugeneigte Köpfe, die Andeutung einer Schulter, die schattenhafte Form eines Armes, der hält und schützt. Beides Metaphern, zarte Umsetzung der Wirklichkeit ins Poetische.
    Lynley konnte nicht glauben, daß der Schöpfer der Akte über Nacht einen derartigen künstlerischen Fortschritt gemacht haben sollte. Er neigte sich hinunter, strich über die kalten Rundungen und bemerkte die Initialen, die in die Steine eingeritzt waren. M. W. Er sah sich die Akte an, sah K. W. in den Stein gegraben. Die künstlerische Auffassung von Vater und Sohn hätte nicht unterschiedlicher sein können.
    »Die sind von Mattie. Nicht die Akte, mein ich. Die anderen.«
    Lynley drehte sich um. Patsy Whateley stand an der Tür. Hinter ihr begann schrill der Kessel zu pfeifen, Geschirr klapperte, als Barbara den Tee aufgoß.
    »Sie sind sehr schön«, sagte er.
    Patsy kam und stellte sich neben ihn. Er konnte die saure Ausdünstung ihres ungewaschenen Körpers riechen und fragte sich mit einem Anflug irrationalen Zorns, was für ein Mensch Kevin Whateley war, daß er seine Frau an diesem ersten langen Tag des Schmerzes allein ließ.
    »Nicht fertig«, murmelte sie mit zärtlichem Blick auf Mutter und Kind. »Mein Mann hat sie gestern abend reingeholt. Sie waren im Garten bei den anderen Sachen meines Mannes. Matt hat sie letzten Sommer angefangen. Ich weiß gar nicht, warum er sie nie fertiggemacht hat. Das war sonst gar nicht seine Art. Er hat immer alles fertiggemacht, was er angefangen hatte. Nie konnte er aufhören, ehe was ganz fertig war. So war er immer. Saß oft die halbe Nacht über irgendeiner Arbeit. Und immer versprach er mir, er würde gleich zu Bett gehen. ›Gleich, Mama‹, sagte er immer. Aber manchmal hörte ich ihn noch nachts um eins in seinem Zimmer rumoren. Ich versteh wirklich nicht, warum er die hier nicht fertiggemacht hat. Sie wären bestimmt schön geworden. Nicht so echt wie die von Kev, aber trotzdem schön.«
    Während Patsy sprach, kam Barbara aus der Küche. Sie stellte das Tablett, das sie mit hereingebracht hatte, auf dem niedrigen Tisch vor der Couch ab. Zwischen Teekanne und Geschirr stand ein Teller mit den versprochenen Ingwerkeksen, die offensichtlich zu lange im Rohr gewesen waren. Die rauhen Ränder verrieten, wo verbrannte Stellen abgekratzt worden waren.
    Barbara schenkte ihnen ein, sie setzten sich alle drei, und während sie noch damit beschäftigt waren, sich Milch und Zucker zu nehmen, die Kekse zu probieren, hörten sie draußen schwere Schritte, die vor der Tür haltmachten. Ein Schlüssel wurde ins Schloß geschoben, dann trat Kevin Whateley ein. Beim Anblick der Polizei blieb er ruckartig stehen.
    Er war von Kopf bis Fuß schmutzig. Das schüttere Haar war grau von Staub; und der gleiche Staub hatte sich in den Falten und Fältchen seines Gesichts, seines Halses und seiner Hände festgesetzt, wo er sich mit dem Schweiß körperlicher Anstrengung vermischt und auf der Haut schmierige Flecken gebildet hatte. Die Bluejeans, die Köperjacke und die Arbeitsstiefel, alles war von einer Staubschicht überzogen.
    Lynley erinnerte sich, was der kleine Smythe-Andrews ihm über Kevin Whateleys Beruf erzählt hatte: Steinmetz in einer Werkstatt für Grabplatten. Wie, fragte er sich, hatte es Whateley an diesem Tag geschafft, seine Arbeit zu tun?
    Whateley stieß die Tür zu und sagte: »Na? Was haben Sie uns zu berichten?« Er kam einen Schritt näher, und als das Licht auf ihn fiel, sah Lynley, daß er an der Stirn und an den Händen frisch verkrustete Verletzungen hatte.
    »Sie sagten gestern, daß Matthew ein Stipendium für Bredgar Chambers bekam«, sagte er. »Mr. Lockwood berichtete uns, daß ein Mitglied des Verwaltungsrats, Giles Byrne, Matthew dafür vorgeschlagen hatte. Trifft das zu?«
    Whateley kam zum Tisch und nahm sich einen Keks. Er sah seine Frau nicht an.
    »Ja, das stimmt«, bestätigte er.
    »Es würde mich interessieren, wie Sie dazu kamen, sich für Bredgar Chambers zu entscheiden und nicht für eine andere Schule. Mr. Lockwood sagte, Sie hätten Matthew schon vormerken lassen, als er acht Monate alt war. Bredgar Chambers ist natürlich keine unbekannte Schule, aber es

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