Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
wanderten unruhig zwischen Harry und dem Fenster hin und her, als fürchtete er, draußen unter dem Fenstersims kauere ein Lauscher.
    Harry registrierte das alles und wappnete sich für das bevorstehende Verhör, entschlossen, nichts zu sagen, nichts zu verraten und vor allem nicht zu weinen. Weinen machte alles immer nur noch schlimmer.
    »Setz dich«, sagte der Direktor wieder. Er wies mit einer Hand zum Konferenztisch.
    Harry setzte sich gehorsam auf einen der Stühle dort und reichte wieder mit den Füßen nicht ganz zum Boden. Mr. Lockwood kam hinter seinem Schreibtisch hervor, zog sich einen der Stühle am Tisch heraus, drehte ihn leicht, so daß er Harrys gegenüberstand, und setzte sich ebenfalls. Er schlug ein Bein über das andere und zog dabei sorgsam das eine Hosenbein hoch.
    »Du hast heute im Unterricht gefehlt, Morant.«
    »Ja, Sir.« Die Antwort war leicht. Harry hielt den Blick dabei auf Mr. Lockwoods Schuhe gerichtet. Am linken war innen ein Schmutzfleck. Harry fragte sich, ob der Direktor das wußte.
    »Hattest du eine Klassenarbeit, vor der du Angst hattest?«
    »Nein, Sir.«
    »Eine schriftliche Hausarbeit?«
    Das Geschichtsreferat! Er hatte sich gründlich darauf vorbereitet gehabt. Das war nicht der Grund gewesen, weshalb er geschwänzt hatte. Aber es bot eine gute Ausrede. Konnte der Direktor ihn dafür sehr verhauen?
    »Ein Geschichtsreferat, Sir.«
    »Aha. Und du warst nicht vorbereitet?«
    »Nicht so gut, wie ich's hätte sein müssen, Sir.« Harry merkte selbst seine Beflissenheit: »Ich weiß schon. Das war ungezogen. Jetzt müssen Sie mich prügeln, nicht?«
    »Prügeln? Aber was denkst du denn, Morant? In unserer Schule wird kein Junge verprügelt. Wie kommst du denn auf so einen Gedanken?«
    »Ich dachte - ich meine, als ich hörte, daß ich ins Direktorat muß, Sir ... Der Schulpräfekt hat mich im Rosengarten erwischt.
    Ich dachte, das hieße -«
    »Daß der Schulpräfekt dich gemeldet hat, damit du eine Tracht Prügel bekommst? Traust du das Chas Quilter wirklich zu, Morant?«
    Harry antwortete nicht. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her. Er wußte, welche Antwort erwartet wurde, aber er konnte sie nicht über die Lippen bringen. Der Direktor fuhr zu sprechen fort.
    »Chas Quilter berichtete mir, daß er dich im Garten vorfand. Er sagte, du hättest einen sehr verstörten Eindruck gemacht. Es ist wegen Matthew Whateley, nicht wahr?«
    Harry hörte die Frage und wußte nur, daß Matthews Namen ihm niemals über die Lippen kommen durfte. Er wußte, wenn er ihn nur ein einziges Mal aussprach, würde der Damm brechen und alles herauskommen. Und darauf würde die Vernichtung folgen. Er wußte es.
    »Du warst doch mit Matthew befreundet, nicht?« fragte der Direktor.
    »Wir waren zusammen im Modelleisenbahn-Club.«
    »Aber er war doch ein besonderer Freund von dir, nicht? Du hast ihn immerhin letztes Wochenende zu deinem Geburtstag eingeladen. Das tut man doch nur, wenn man jemand besonders mag.«
    »Ja, das stimmt schon. Er war mein Freund.«
    »Und Freunde reden doch auch miteinander, nicht?«
    Harry wurde wieder unruhig. Er wußte, wohin das führte. Er suchte nach einer Ausflucht. »Matthew hat nie viel geredet. Auch nicht nachmittags beim Sport.«
    »Aber du kanntest ihn. Du kanntest ihn so gut, daß du ihn nach Hause eingeladen hast, um ihn deinen Eltern vorzustellen?«
    »Äh - ja. Er war ...« Harry wand sich; wurde schwankend. Vielleicht konnte er dem Direktor doch die Wahrheit sagen. So schlimm würde es schon nicht werden.
    »Er hat zu mir gehalten. Darum wurden wir Freunde.«
    Mr. Lockwood neigte sich nahe zu ihm hin. »Du weißt etwas, nicht wahr, Morant? Matthew Whateley hat dir etwas gesagt? Warum er weggelaufen ist?«
    Harry spürte den Atem des Direktors auf seinem Gesicht. Er roch nach Mittagessen und Kaffee. Er war sehr heiß.
    »Kleine Abreibung gefällig, Bubi? Kleine Abreibung gefällig?«
    Harry stemmte sich gegen die Stuhllehne. Er konnte nicht. Er wollte nicht.
    »Nein, Sir«, sagte er. »Ich wollte, es wäre so.«

    Es war halb sechs, als Lynley und Havers in Hammersmith ankamen. Von der Themse her blies ein kalter Wind und fegte die feuchten Blätter einer Zeitung über den Bürgersteig. Im Rinnstein lag ein durchweichtes Pressefoto der Herzogin von York; über ihre linke Wange zog sich der Abdruck eines Reifens. Rund herum schwollen und verebbten die vielfältigen Geräusche des Viertels in stetigem Wechsel wie der Strom der Gezeiten, und Abgaswolken trieben

Weitere Kostenlose Bücher