03 - Auf Ehre und Gewissen
Blick fiel auf die beiden Töpfe. Er packte einen, kippte ihn um und stieß ihn die Treppe hinunter. Schwarze Erde und Blätter flogen nach allen Seiten, als er die Stufen hinuntersprang und auf dem sauber gefegten Gartenweg in Stücke brach.
»Byrne!« brülle Kevin. Er fing plötzlich an zu lachen.
»He, sehen Sie, was ich hier mach, Byrne? Schauen Sie her, ich mach's gleich noch mal!«
Er warf sich über den zweiten Topf, umklammerte ihn am wulstigen Rand mit beiden Händen und schlug ihn donnernd an die weiße Haustür. Holz splitterte. Erde flog ihm in die Augen. Tonscherben schlugen ihm ins Gesicht.
»Na, reicht's Ihnen jetzt?« schrie Kevin.
Er keuchte, und in der Brust spürte er einen stechenden Schmerz. Ein gebogener Splitter des zertrümmerten Topfes steckte in seinem Oberschenkel. Der Kopf war ihm schwer, die Schultern taten weh. Sein Blick war wie verschleiert, aber er sah doch noch, daß ein schlanker junger Mann aus dem Haus nebenan getreten war und jetzt den Weg herunterkam, um über die Hecke zu spähen, die die beiden Grundstücke voneinander trennte.
»Geht's Ihnen nicht gut, Mann?« fragte er.
Kevin rang um Atem. »Ist schon gut. Alles in Ordnung«, antwortete er.
Er stand auf, hustete trotz der Schmerzen in der Brust und stolperte über Erde und Tonscherben den Weg hinunter zum Tor. Ohne es hinter sich zu schließen, schlug er die Richtung zum Fluß und zur Upper Mall ein.
Kevin wandte sich ab und trottete in Richtung Blue Dove und zum alten Anger, der nicht weit dahinter war. Er wollte nichts sehen, während er ging. Er wollte vergessen, wo er war. Er wollte nicht darauf achten, daß er sich mit jedem Schritt nur einem anderen Teil des Viertels näherte, der an Mattie erinnerte.
So sehr Kevin seinen Sohn geliebt hatte, er hatte die Gefahr nicht gesehen. Er hatte sich in Sicherheit gewogen, als gäbe es sie gar nicht. Er und Patsy hatten der Logik, der Geistesschärfe, der überlegenen Erfahrung Giles Byrnes nichts entgegenzusetzen gehabt und waren ihm erlegen.
Mattie hatte nicht nach Bredgar Chambers gewollt. Er hatte sie immer wieder gebeten, ihn nicht wegzuschicken. Aber sie hatten es dennoch getan, und Kevin hatte sich mit der Erklärung beruhigt, das Widerstreben des Jungen, aus Hammersmith fortzugehen, sei sicheres Zeichen dafür, daß die Nabelschnur, die den Sohn an die Mutter band, endlich durchtrennt werden müsse. Nun, jetzt hatten sie sie durchtrennt. Jetzt brauchte er sich nicht mehr zu sorgen, daß Mattie allzusehr am Schürzenzipfel seiner Mutter hing. Dieser Sorge war er für immer enthoben.
Mattie! Kevins Augen brannten. Er kämpfte seine Verzweiflung nieder.
Wie konnte er tot sein? Wie konnte dieses heitere, sprühende Leben schon erloschen sein? Wie sollten sie ohne Mattie weiterleben?
»Hey, Mann, du schaust ja aus wie aus dem Schweinestall!«
Die lallende Stimme eines Betrunkenen riß ihn aus seinen quälenden Gedanken. Auf einer Bank am Rand des Angers räkelte sich ein Mann und trank aus einer Flasche in einer Papiertüte. Er grinste Kevin an.
»Schweinchen, Schweinchen«, lallte er. »Schweineschwein!« Er lachte grölend und wedelte mit seiner Tüte.
»Hau ab«, sagte Kevin, aber seine Stimme zitterte.
»Oooch, Schweinchen muß weinen!« gurgelte der Betrunkene. »Wein, Schweinchen, wein. Und so 'ne dreckige Hose!«
»Du gottverdammter -«
»Uhuu! Da krieg ich ja Angst. Ehrlich! Warum heulst du überhaupt, Schweinchen? Hast du deine Sau verloren? Oder dein kleines Schweinekind? Oder -«
Kevin stürzte sich auf den Mann und ging ihm an die Kehle. »Du Dreckskerl! Halt endlich dein Maul!« schrie er und begann, auf das Gesicht unter seinem eigenen einzuschlagen. Er spürte Knochen brechen, fühlte, wie die Haut an seinen Knöcheln aufplatzte.
Der Schmerz war gut. Und als der Betrunkene Kevin mit bösartiger Wucht das Knie zwischen die Beine stieß und der mörderische Schmerz seinen ganzen Körper durchzuckte, war auch das gut. Er ließ den Mann los und stürzte zu Boden. Der Betrunkene rappelte sich torkelnd auf, trat Kevin in die Rippen und rannte in Richtung zum Pub davon. Kevin blieb, wo er war, japsend, mit hämmerndem Herzen.
Aber er weinte keine einzige Träne.
10
Deborah hockte mit hochgezogenen Beinen in einem abgeschabten Ledersessel am offenen Kamin im Arbeitszimmer ihres Mannes. In der einen Hand hielt sie einen Stapel Fotografien, in der anderen ein Vergrößerungsglas, doch ihr Blick war auf das gold-blaue Flackern der Flammen
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