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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Bredgar Chambers in West Sussex ist. Auf jeden Fall gibt es keine direkte Verbindung nach Stoke Poges und zu diesem Friedhof. Es scheint fast so, als hätte der Mörder den Ort bewußt gewählt. Aber warum?«
    Deborah ließ sich die Frage durch den Kopf gehen. Vielleicht konnte sie doch helfen.
    Sie ging zum Schreibtisch und suchte ihre Kopie des Manuskripts heraus, das mit ihren Fotos illustriert werden sollte.
    »Augenblick ... Ich erinnere mich noch ...« Sie kam mit dem Manuskript zurück, setzte sich und begann zu blättern, bis sie Thomas Grays Gedicht gefunden hatte. Sie überflog die einzelnen Verse, sagte »Ah, da!« und reichte Lynley das Manuskript. »Sieh dir die Grabinschrift an«, sagte sie. »Den ersten Teil.«
    Er las die ersten vier Zeilen laut:
»Ein Jüngling ruhet hier in unsrer Mutter Schoß,
Dem Glücke nicht bekannt, durch keinen Nachruhm groß.
Sein niedrig Wiegenbett verschmähten nicht die Musen,
UndSchwermuth weihte sich zur Wohnung seinen Busen.«

    Lynley sah auf. »Das ist unglaublich«, sagte er. »Ich weiß nicht mal, ob ich es überhaupt glauben möchte.«
    »Passen die Zeilen denn auf den kleinen Jungen?«
    »In jeder Hinsicht.« Lynley nahm seine Brille ab und starrte ins Feuer. »Zeile für Zeile stimmt alles, Deb.«
    Deborah fröstelte. »Dann wurde Stoke Poges absichtlich gewählt.«
    »Von jemandem, der ein Fahrzeug hatte, Matthew kannte und ein perverses Interesse an kleinen Jungen hat. Von jemandem, der dieses Gedicht kennt.«
    »Weißt du, wer es ist?«
    »Ich glaube, ich will es lieber nicht wissen.« Er stand von dem Sitzpolster auf, ging zum Fenster und blieb, eine Hand auf das Fensterbrett gestützt, dort stehen, um zur Straße hinunterzusehen.
    »Und wie geht's weiter?« fragte Deborah.
    »Die Autopsie wird uns zusätzliche Anhaltspunkte liefern. Materialfasern, Haare, Hinweise darauf, wo Matthew von Freitag nachmittag bis Sonntag war. Er wurde nicht auf der Wiese dort getötet. Er wurde dort nur weggeworfen. Er muß also mindestens vierundzwanzig Stunden, vielleicht auch länger, irgendwo gefangen gewesen sein. Vielleicht bekommen wir durch die Autopsie einen Anhaltspunkt, wo. Und die Todesursache - wenn wir die mit Sicherheit wissen, sehen wir klarer.«
    »Aber jetzt siehst du noch nicht klar? Nach dem, was du sagtest, hatte ich den Eindruck -«
    »Nicht klar genug! Ich kann nicht einen Menschen festnehmen, nur weil er ein Gedicht kennt, einen Wagen hat, eine Vertrauensstelle an der Schule einnimmt und mir einen kleinen Jungen auf sehr seltsame Weise beschrieben hat. Ganz zu schweigen davon, daß dieser Mann Lehrer für englische Literatur ist.«
    »Dann weißt du es also«, sagte Deborah. »Tommy, ist es jemand, den du -« Sie las ihm die Antwort vom Gesicht ab. »Gott, wie gräßlich für dich. Das ist wirklich schlimm.«
    »Ich weiß es eben nicht, Deb. Das ist es ja gerade. Er hat kein eindeutiges Motiv.«
    »Außer der seltsamen Art, einen kleinen Jungen zu beschreiben?« Sie nahm ihre Fotografien zur Hand und wählte ihre Worte mit Sorgfalt. »Man hatte ihn gefesselt. Das konnte ich erkennen. Ich habe die Abschürfungen gesehen, die Stellen, wo die Haut wund und aufgescheuert war. Und die Brandmale -Tommy, es ist das schlimmste Motiv, das man sich vorstellen kann. Wieso hast du Angst, den Tatsachen ins Auge zu sehen?«
    Er drehte sich mit einem Schwung um. »Wieso hast du Angst?« fragte er zurück.
    Die Worte zerstörten mit einem Schlag das bißchen innere Ruhe, das sie während des Gesprächs gefunden hatte. Sie wurde blaß.
    »Sag es mir!« verlangte er. »Deborah, um Gottes willen, hältst du mich denn für blind? Ich habe gesehen, wie ihr beide heute morgen miteinander umgegangen seid. Wie zwei Fremde. Ach was, schlimmer als zwei Fremde.«
    Sie wußte, daß ihr Gesicht sie verriet. Sie mußte das Gespräch in andere Bahnen lenken. Aber sie suchte umsonst nach einer Ausflucht.
    Lynley ging zu der Wand mit ihren Fotografien. Deborah beobachtete ihn, während er eine kleine Schwarzweißaufnahme betrachtete, einen ihrer ersten Versuche, ein Bild, das sie kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag aufgenommen hatte. Es zeigte Simon im Garten auf einer Liege, in eine Wolldecke gehüllt, die Krücken neben sich. Der Kopf war nach links gedreht, die Augen geschlossen, das Gesicht eine Studie schmerzlicher Verzweiflung.
    »Hast du dich je gefragt, warum er das hier hängen läßt?« fragte Lynley. »Er könnte es doch auch abnehmen. Er könnte darauf bestehen, daß du

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