03 - Auf Ehre und Gewissen
Standardformular aus der Krankenstation. Mit seinem Namen darauf. Sonst nichts.«
»Keine Unterschrift?«
»Von Judith Laughland, meinen Sie? Nein.«
»Ist das Usus? Daß eine Befreiung nicht unterschrieben wird?«
Pitt trat von einem Fuß auf den anderen. Mit einer Hand strich er sich über das fettige, dünne Haar, zupfte an einer Strähne, die ihm über das linke Ohr gerutscht war. »Nein. Im allgemeinen wird sie unterschrieben.«
»Aha. Aber diese war nicht unterschrieben.«
»Das sagte ich bereits, Inspector.«
»Sie haben sich dennoch nicht vergewissert, ob es mit der Befreiung seine Ordnung hatte?«
»Nein.«
»Warum nicht, Mr. Pitt?«
»Ich hatte keine Zeit. Ich war spät dran und mußte raus aufs Spielfeld. Ich habe mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht. Matthew Whateley hatte schon vorher mal geschwänzt. Genau gesagt, vor drei Wochen. Wenn ich überhaupt etwas dachte, als ich diese Befreiung sah, dann höchstens, daß ich ihn mir diesmal vorknöpfen würde. Aber ich vergaß es. Wenn das ein Verbrechen ist, dann legen Sie mir Handschellen an.«
»Wie war das vor drei Wochen?«
»Da hatte er auch eine Befreiung, allerdings unterschrieben. Er brachte sie mir persönlich. Wenn Sie mich fragen, war's nur Getue. Er spielte den Kranken und hüstelte ziemlich künstlich, um überzeugend zu wirken. Aber da die Laughland offenbar darauf hereingefallen war, wollte ich keinen Wirbel machen. Also zog er ab.«
»Wohin?«
»In sein Bett, vermute ich. In sein Zimmer. Oder in den Aufenthaltsraum. Ich habe keine Ahnung.«
»Aber hat diese zweite Befreiung, so bald nach der letzten, Sie nicht augenblicklich argwöhnisch gemacht, Mr. Pitt? Besonders da sie im Gegensatz zu der letzten nicht unterzeichnet war?«
»Nein. Leider nicht. Ich habe sie mir kurz angesehen und in den Papierkorb geworfen.« Pitt nahm ein Stück Kreide von seinem Pult und rollte es auf der Handfläche hin und her. Draußen läutete es, Zeichen, daß in fünf Minuten die nächste Stunde beginnen würde.
»Sie sagten, Sie seien spät dran gewesen. Aber das war doch nach dem Mittagessen, nicht wahr? Sind Sie danach weggegangen?«
»Ich war in Galatea. Ich war -« Er seufzte. Aber als er sprach, klang sein Ton eher aggressiv als resigniert. »Na schön. Wenn Sie es unbedingt wissen müssen. Ich hatte Krach mit meiner Frau. Ich achtete nicht auf die Zeit. Ich ging überhaupt nur zu meinem Fach, weil ich einen Haufen Bücher bei mir hatte, die ich ablegen wollte, und wußte, daß ich es zeitlich nicht mehr schaffen würde, erst noch im Klassenzimmer vorbeizugehen. Die Jungen hätten inzwischen den ganzen Rasen demoliert.«
»Aber ein paar Minuten Verspätung, Mr. Pitt. Das ist doch weiß Gott kein Verbrechen.«
»Da kennen Sie Lockwood schlecht. Er hat ein ausgesprochen gestörtes Verhältnis zu mir, da ich bedauerlicherweise eine Frau habe, die gern mal trinkt. Muß ich noch deutlicher werden, Inspector? Ich hatte anderes im Kopf als Matthew Whateley.«
Draußen im Flur hörte man die Stimmen der Schüler. Barbara blieb auf ihrem Posten neben der Tür. Pitt sah zu ihr hinüber und warf die Kreide aufs Pult. »Ich habe jetzt Stunde«, sagte er drängend.
Lynley ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie und Mr. Lockwood kommen also nicht gut miteinander aus.«
Pitt sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Lockwood möchte mich gern loswerden, weil ich nicht in sein Konzept für Bredgar Chambers passe. Seit unserem ersten Zusammentreffen sucht er nach einem Grund, mich entlassen zu können.«
»Ohne Erfolg, wie es scheint.«
»Ja, das Problem ist, daß ich trotz allem, was er mir vorwirft - eine untragbare Ehefrau und ein Aussehen, das nicht seinen Vorstellungen entspricht -, ein guter Lehrer bin. Das beweisen die guten Ergebnisse meiner Schüler beim A-level. Er muß sich also mit mir abfinden. Und mit der Tatsache, daß ich etwas mehr über ihn weiß, als ihm lieb ist.« Die letzten Worte waren deutliche Aufforderung zu weiterer Nachfrage, und Lynley tat ihm den Gefallen.
»Zum Beispiel?«
»Ich kenne seinen Werdegang, Inspector. Ich habe mich informiert. Er möchte mich an die Luft setzen, aber ich habe nicht die Absicht, das kampflos hinzunehmen. Ich habe mir deshalb ein paar gute Karten besorgt, die ich aus dem Ärmel ziehen kann, sollte der Verwaltungsrat sich einfallen lassen, meine Fähigkeiten in Zweifel zu ziehen!«
Pitt verstand es, sein Wissen wirkungsvoll auszuspielen. Lynley bezweifelte nicht, daß er
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