03 - Auf Ehre und Gewissen
Lagerräume, und über den Aquarien einen riesigen Wassertank, wo man Matthew Whateley ohne weiteres hätte ertränken können. Aber gefangenhalten hätte man den Kleinen nur dann in einem der Räume können, wenn er gebunden und geknebelt gewesen wäre, und der Mörder mit Sicherheit gewußt hätte, daß den ganzen Nachmittag niemand ins Haus kommen würde. Dann gibt's noch die Garderoben und Lagerräume im Theaterbau. Wenn für den Tag keine Vorstellung angesetzt war und der Mörder sich zu den Räumen Zutritt verschaffen konnte, kämen sie am ehesten in Frage, Inspector. Heute morgen war da allerhand los - ich sah übrigens Chas Quilter, der aussah, als sei Yorick eben von den Toten wiederauferstanden und hätte ihm damit einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Aber wenn das Theater am Freitag nach dem Mittagessen leer war, könnte man Matthew Whateley dort gut versteckt gehalten haben. Hinzu kommt, daß das Gebäude relativ weit vom Sportplatz entfernt ist, wo die Schüler am Nachmittag waren.«
»Aber wie käme man hinein, Sergeant? Gerade das Theater - mit den vielen Requisiten und Kostümen - wird doch bestimmt gut gesichert sein.«
»Oh, es ist sicher immer abgeschlossen. Aber das ist überhaupt kein Problem. Ich hab mich informiert, ehe ich meine Inspektion begann. Frank Orten sagte uns, daß die Schlüssel an zwei Orten aufbewahrt werden - in seinem Büro und in den Fächern im Vorraum zum Lehrerzimmer. Sein Büro ist tagsüber nicht abgesperrt; wenn also Orten mal einen Moment weg war, hätte jeder unbemerkt reingehen und sich die Schlüssel für den Theaterbau holen können. Und wenn es ihm bei Tageslicht zu riskant gewesen wäre, wäre es auch nach Einbruch der Dunkelheit überhaupt kein Problem, das Schloß zu öffnen. Das schafft jeder Idiot innerhalb von fünfzehn Sekunden. Die Sicherheitsvorkehrungen hier sind ein Witz.«
»Und wie sieht es mit den Fächern im Vorraum des Lehrerzimmers aus?«
»Keinen Deut besser«, antwortete sie. »Orten sagte uns, daß das Lehrerzimmer immer abgeschlossen ist und daß nur die Lehrer und die Bedienungen Schlüssel haben. Also, heute morgen war es nicht abgeschlossen. Ich konnte ungehindert reinmarschieren. Und auf den Fächern stehen nicht nur die Namen der Lehrer, sondern in den meisten hingen auch weithin sichtbar die Schlüssel. Man braucht nur zu wissen, welcher Lehrer welche Schlüssel hat, und schon ist die Sache geritzt.«
»Also ist alles wieder offen.«
Lynley spukte eine Bemerkung John Corntels im Kopf herum. »Sehen wir mal, ob wir Cowfrey Pitt finden«, sagte er.
Obwohl die Pause noch nicht um war, befand sich der Deutschlehrer nicht mit den anderen Lehrern im Lehrerzimmer. Lynley und Barbara fanden ihn in seinem Klassenzimmer. Er war dabei, in kaum leserlicher Schrift etwas an die Tafel zu schreiben. Als Lynley ihn ansprach, schrieb er weiter, ohne sich stören zu lassen, und trat erst von der Tafel weg, als er fertig war. Einen Moment betrachtete er kritisch sein Werk, löschte einige Wörter und schrieb sie neu, wenn auch nicht wesentlich deutlicher, dann erst wandte er sich Lynley und Barbara zu.
»Ah ja, die Polizei«, sagte er. »Ihr Ruf ist Ihnen vorausgeeilt. Sie brauchen sich nicht mehr vorzustellen. Ich habe in zehn Minuten Unterricht.«
Er sprach in gleichgültigem Ton und wischte sich dabei ein paar Kreideflecken vom Ärmel seiner Robe. Die Geste war reine Formalität; seine Robe war insgesamt mehr grau als schwarz, auf den Schultern von Staub und Schuppen bedeckt.
Barbara schloß die Tür und blieb direkt daneben stehen. Sie maß Pitt mit einem Blick, der in seiner Ausdruckslosigkeit völlig eindeutig war: Seine Stunde sollte vielleicht in zehn Minuten beginnen, tatsächlich aber würde sie erst beginnen, wenn die Polizei es erlaubte.
»Wir werden Sie nicht lange aufhalten«, sagte Lynley.
»Wir wollen lediglich ein paar Fragen klären.«
»Ich habe jetzt eine Abschlußklasse«, bemerkte Pitt, als würde das die Länge der Zeit bestimmen, die er ihnen zu widmen bereit war. Barbara Havers lehnte sich an die Wand neben der Tür, wie zum Zeichen, daß sie sich auf einen längeren Aufenthalt einstelle. »Also, Inspector«, sagte Pitt. »Klären Sie. Bitte. Klären Sie.« »Was können Sie mir über die Befreiung sagen, aufgrund derer Matthew Whateley am Freitag nachmittag vom Hockeyspiel freigestellt wurde?«
Pitt blieb hinter seinem Pult. Er stützte die Hände auf, deren Haut gesprungen und wund war. »Nicht viel. Es war das
Weitere Kostenlose Bücher