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03 Göttlich verliebt

03 Göttlich verliebt

Titel: 03 Göttlich verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Angelini
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auf seinen Posten zurückkehrte, würde er den ganzen Plan ruinieren. Helena musste sich überzeugen, dass er immer noch beschäftigt war und vom Tor wegblieb, denn andernfalls würde sie drastische Maßnahmen ergreifen müssen.
    Sie konnte ihn nicht vor dem Morgengrauen töten. Odysseus hatte mit Zeus ausgehandelt, dass er es schaffen würde, das große Stadttor von Troja zu öffnen und die gesamte griechische Armee in die Stadt zu lassen, ohne einen einzigen Menschen zu töten, bevor die Sonne aufging. Dann sollten die Griechen die schlafenden Bürger von Troja in ihren Betten ermorden. Im Austausch für ein so schnelles Ende des Krieges, das die Götter gegeneinander aufbrachte, hatte Zeus geschworen, dass sie erst wieder auf die Erde zurückkehren würden, wenn sich die Scions vereinten und seine Herrschaft bedrohten.
    Deswegen musste Helena sichergehen, dass sie niemanden tötete, während sie ihren Teil der Abmachung erfüllte. Das bedeutete aber nicht, dass sie Aeneas keine Sehne durchschneiden und ihn nicht fesseln durfte.
    Am ganzen Körper zitternd, umklammerte sie ihren Dolch. Sie wollte Aeneas nicht verletzen, denn er war immer ein guter und aufrichtiger Mann gewesen, aber sie würde tun, was nötig war. Sie hatte schon so viel Blut von unschuldigen Menschen an ihren Händen, dass es darauf nicht mehr ankam. Einen Moment lang dachte Helena an Astyanax, den kleinen Sohn von Hektor und Andromache, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Alle Frauen, unter ihnen auch Helena, sollten verschont bleiben – allerdings waren Bedingungen daran geknüpft. Sie würden als Kriegsbeute unter den griechischen Königen aufgeteilt werden. Helena würde zu Menelaos zurückkehren müssen. Sie schauderte und verdrängte die Erinnerung daran, wie er versucht hatte, sie totzuschlagen, doch sie wusste, dass diese Bilder sie noch viele Jahre verfolgen würden. Er konnte inzwischen keine Kinder mehr zeugen – eine Folge des Fluchs, mit dem Aphrodite seine Stadt belegt hatte –, und das würde er an Helena auslassen, solange sie es schaffte, seine Brutalität zu überleben.
    Die Frauen würden mit den griechischen Königen verheiratet werden und, abgesehen von Atlanta, würden alle Kinder in Troja nach dieser Nacht sterben. Damit verglichen empfand Helena ihr Leid als gering.
    Odysseus hatte sich unnachgiebig gezeigt, was die Kinder betraf, obwohl Helena um ihre Leben gefleht hatte. Die Griechen wollten nicht riskieren, dass die Kinder zu Kriegern heranwuchsen, die sie aufspüren und sich an ihnen für den Tod ihrer Väter rächen würden.
    Das Orakel hatte sie gewarnt, dass die Griechen alle Kinder Trojas töten könnten, aber Blut für Blut war immer noch das Schicksal der Halbgötter. Kassandra sah voraus, dass die Furien das Morden von Kindern und deren Angehörigen nicht tolerieren und alle Halbgötter für den Tod Unschuldiger zur Rechenschaft ziehen würden. Aber natürlich glaubte ihr niemand.
    Helena ließ den Dolch in der Scheide, bis sie ihn brauchte, und stieg den steilen, felsigen Hügel hinauf, auf dem der Tempel stand, in dem Kassandra einsam und allein lebte. Im Laufe der Jahre hatte Helena oft hinaufgestarrt zu den Säulen von Kassandras luxuriösem Gefängnis und dabei gedacht, dass die kleine Schwester ihres Mannes genauso war wie der Mond. Sie stand höher als alle anderen, weit weg und ganz allein.
    Nach ein paar weiteren Schritten hörte Helena Geräusche, die unmissverständlich waren. Unmöglich, dachte sie, als sie zwei Personen gleichzeitig aufschreien hörte.
    Helena huschte von einer Säule zur nächsten und durch den Wald aus Marmorsäulen im Innern des Tempels, bis sie dem inneren Heiligtum so nah war, dass sie mit eigenen Augen sehen konnten, was ihr ihre Ohren schon verraten hatten.
    Aeneas und Kassandra waren ein Liebespaar. Und am erstaunten Gesichtsausdruck von Aeneas erkannte Helena, dass die Intimität zwischen den beiden eine ganz neue Entwicklung war.
    Aeneas setzte sich auf und fuhr sich mit einer Hand über das verschwitzte Gesicht. Sein Blick wanderte über die umgestoßenen Amphoren, die zerrissenen Vorhänge und das gesamte Durcheinander, das ihre Vereinigung in dem nun entweihten Tempel hinterlassen hatte. Dann sah er Kassandra geschockt an.
    »Habe ich dir wehgetan?«, fragte er sie betroffen.
    Es verblüffte Helena, dass ein brutaler Krieger wie Aeneas, der die letzten zehn Jahre damit verbracht hatte, Unmengen von griechischem Blut zu vergießen, so sanft sein konnte.

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