03_Im Brunnen der Manuskripte
Drei-LeserBeschränkung.«
Ein erschrockenes Japsen kam aus dem Publikum.
»Das bedeutet, dass Bücher nicht mehr ausgeliehen werden
können. Bibliotheken können gleich zumachen, und Antiquariate gehören ebenfalls der Vergangenheit an. Wörter können
belehren und befreien, aber TextGrandCentral will nur noch
eine Ware daraus machen, mehr nicht, eine sehr verderbliche
Ware.«
Im Publikum begannen die Leute zu murmeln und miteinander zu diskutieren.
»Orlick!« hörte ich Tweed rufen. »Rennen Sie zum TGC. Die
Fußnotofonleitungen müssen sofort repariert werden.«
»Das ist doch absurd!« brüllte Libris, der vor Wut rot angelaufen war. »Das sind doch alles bloß Lügen!«
»Keineswegs«, sagte ich und warf Deanes Exemplar des Kleinen Prinzen auf das Lesepult. Die SF-Raumverdrängungstechnologie funktionierte hervorragend, und das Buch erschien
gleichzeitig auf jedem der hunderttausend Tische im Saal.
»Das ist ein UltraWord™-Buch«, erklärte ich. »Lesen Sie die
erste Seite, schließen Sie das Buch und geben Sie es dann weiter.
Sie werden sehen: Schon beim dritten Leser lässt es sich nicht
mehr öffnen.«
»Tweed!?« kreischte Libris, der direkt neben mir auf der
Bühne stand und von Sekunde zu Sekunde aufgeregter wurde.
»Unternehmen Sie doch endlich was!«
Ich zeigte auf Libris. »Der WortMeister könnte meine Argumente mühelos widerlegen, wenn er die Fakten umschreiben
könnte. Er hätte auch die Drei-Leser-Sperre aufheben können,
und es gibt nur eins, was ihn daran hindert: Die Leitungen zu
TextGrandCentral sind unterbrochen. Sobald sie wiederhergestellt sind, werden diese Bücher sicher sofort aufgesperrt werden. Perkins wurde ermordet, als er herausfand, was der TGC
und seine Komplizen geplant hatten. Er hatte Snell informiert,
und deshalb wurde der auch umgebracht. Miss Havisham
wusste es nicht, aber TGC hatte den Verdacht, dass sie etwas
wüsste. Deshalb wurde auch sie zum Schweigen gebracht.«
Der Protokollführer war aufgestanden und kam nach vorne
zur Bühne. »Ist das wahr?« fragte er mit funkelnden Augen.
»Nein, Euer Protokollführerschaft«, sagte Libris. »Ehrenwort!
Sobald die Leitungen zum TGC wiederhergestellt sind, werde
ich jede einzelne Anschuldigung widerlegen.«
Der Protokollführer sah mich an. »Sieht so aus, als müssen
Sie sich beeilen, junge Dame. Jetzt hört Ihnen das Publikum zu,
aber wie lange noch, weiß ich nicht.«
»Drittens können alle Bücher mit UltraWord™ direkt von
TextGrandCentral aus gewartet und repariert werden. Es wird
keine Jurisfiktion mehr geben. Alles, was wir machen, können
dann angelernte technische Hilfskräfte beim TGC leisten.«
»Aha!« unterbrach Libris. »Jetzt kommen wir der Sache
schon näher! Sie haben bloß Angst um Ihren Job, Next!«
»Nein, geht es nicht um meinen Job, Libris – meine wahre
Heimat ist im Außenland. Ich würde es begrüßen, wenn die
BuchWelt keine Ordnungshüter mehr brauchte – aber ich fände
es inakzeptabel, wenn der Brunnen der Manuskripte versiegte!«
Wieder ertönte ein hörbares Japsen, als sieben Millionen
Romanfiguren und andere Angehörige der BuchWelt gleichzeitig Luft holten.
»Wenn UltraWord™ eingeführt worden ist, dann wird man
keine Plottschmiede, Stimmungsmischer, Grammatacisten,
Lochflicker, Echofinder und Orthographieprüfer mehr brauchen. Man wird auch keine Rohlinge mehr ausbilden, denn die
Figuren werden aus einem Minimum an Begriffen zusammengeschraubt. Alles Intuitive beim Schreiben wird abgeschafft und
durch Formeln ersetzt. Der Brunnen der Manuskripte ver-schwindet und wird durch ein paar Techniker vom TGC ersetzt,
die ohne jeden Beitrag von euch ihre Arbeit verrichten. Sie
werden Bücher zusammenbauen, in denen ihr gar nicht mehr
vorkommt.«
»Und was wird dann aus uns?« fragte eine Stimme aus der
ersten Reihe.
»Ihr werdet alle ersetzt«, sagte ich. »Ersetzt durch ein paar
dürre Substantive und Verben. Keine Hoffnungen, keine Träume und keine Zukunft. Und Urlaub gibt's auch keinen mehr,
weil ihr gar keinen mehr braucht, weil ihr nur noch aus lebloser
Druckerschwärze besteht.«
Lähmendes Schweigen senkte sich über die Halle.
»Beweise!« schrie Libris. »Bisher haben Sie bloß gezeigt, dass
Sie genug Fantasie haben, um Plottschmied zu werden. Aber
Beweise haben Sie keine!«
»Na schön«, sagte ich langsam. »Mrs Bradshaw? Bringen Sie
mir bitte die Lerche!«
Mrs Bradshaw holte den kleinen Käfig unter ihrem
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