03 - komplett
respektablen Zofe auf die Reise zu begeben.
Rachel wollte jedoch nicht durch Umstände, die Devane ihr aufgezwungen hatte, zur Lügnerin werden. Also war sie entschlossen, auf die Ausrede, die sie ihren Eltern für ihre Reise nach London gegeben hatte, die Tat folgen zu lassen. Lucinda musste inzwischen schon einen Brief von ihr erhalten haben, und obwohl es zu früh für eine Antwort war, wusste Rachel auch so, dass man für ihren Besuch dankbar sein würde.
Lucinda brauchte Hilfe mit einem lebhaften Kind wie ihrem kleinen Sohn Alan, der für sie in ihrem jetzigen Zustand ein wenig zu anstrengend sein durfte. Rachel hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt und freute sich darauf, ihrer besten Freundin Gesellschaft zu leisten. Nur wusste sie noch nicht so recht, wie sie ihr den wahren Grund für ihr Kommen verraten sollte.
Bei diesem Gedanken schaute sie doch unwillkürlich zum Haus zurück und entdeckte eine Gestalt halb verborgen am Fenster des Salons. Vor nur wenigen Tagen hatte sie selbst an jener Stelle gestanden und sich mit bedauernswerter Naivität darüber gefreut, ihren Papa heimkommen zu sehen. Keinen Moment wäre es ihr in den Sinn gekommen, er könnte so schreckliche Neuigkeiten mit sich bringen. Jetzt war es an ihm, Wache zu halten, zu warten und nach ihr auszuschauen. Denn sie war sicher, dass er genau wusste, mit welcher Absicht sie nach London fuhr – um das entsetzliche Unrecht gutzumachen, das er ihr angetan hatte.
Noreen verabschiedete sich gerade von ihrer Schwester Mary, kletterte dann in die Kutsche und zog den dunklen Mantel fest um sich. Sobald der Wagen mit einem Ruck anfuhr, sah Rachel, ohne zu überlegen, wieder hoch zum Fenster. Ihr Vater hob eine Hand. Unwillkürlich erwiderte sie den Gruß, zu einem Lächeln konnte sie sich allerdings nicht durchringen. Und dann verlor sie den Anblick seiner Gestalt aus den Augen, als die Kutsche die breite Allee mit den riesigen Kastanienbäumen erreichte.
Edgar Meredith legte die Hand flach an die Fensterscheibe und sah die Kutsche mit seinem ältesten Kind hinter den dicht belaubten Ästen der frühlingsgrünen Bäume verschwinden. Er senkte das müde Haupt und flüsterte: „Viel Glück, mein Liebes.“
„Ich werde warten.“
„Nun ... ich glaube nicht, dass das klug wäre, Miss ... äh ... Meredith, sagten Sie?“
„Ja, das sagte ich.“
„Miss Meredith, ich weiß überhaupt nicht, wie lange Seine Lordschaft aus sein wird.“
„Erwarten Sie ihn denn noch heute zurück?“
„Ja, heute schon. Aber ich weiß nicht, wann. Ich möchte Sie nicht erschrecken, Madam, aber gestern verließ Seine Lordschaft das Haus vor Mittag und kehrte erst nach Mitternacht wieder heim.“
„Seien Sie versichert, dass diese Information mich nicht einschüchtert. Kann ich hier sitzen?“
Rachel wies auf einen unbequem wirkenden Lehnsessel. Tatsächlich erschreckte sie der Gedanke sogar sehr, so lange hier ausharren zu müssen. Aber sie bezweifelte, dass es nötig werden würde. Es war noch nicht ganz Zeit, zu Abend zu essen. Sie vermutete, Lord Devane würde erst einmal nach Hause kommen und etwas zu sich nehmen, bevor er den restlichen Abend woanders verbrachte. Sein Butler wollte sie mit seinem übertriebenen Pessimismus nur entmutigen. Die eindrucksvolle, leicht nüchterne Eingangshalle war jedoch alles andere als gemütlich mit ihren königsblauen Samtvorhängen und den schweren dunklen Möbeln.
Joseph Walsh, der Butler, war pikiert. Diese Frau konnte froh sein, dass er so viel Nachsicht an den Tag legte. Zumal er in dieser Dame keine der Freundinnen oder Bekannten seines Herrn wiedererkannte. Und er war völlig sicher, sie in diesem Haus noch nie begrüßt zu haben.
Rachel missfielen die hochmütig prüfenden Blicke des Butlers. Sie ahnte, dass er an ihrer Erscheinung Anstoß nahm. Ihr Hut war staubig und der Saum ihrer Pelisse schlammverkrustet. So ungern sie es sich eingestand, aber sie musste ausgesprochen müde und von der Reise mitgenommen aussehen.
Jetzt, da sie endlich an ihrem Ziel angekommen war, wusste sie nicht so recht, warum sie den Entschluss gefasst hatte, zuerst hierher zu kommen. Klüger wäre es gewesen, sich zunächst im Stadthaus ihrer Familie frisch zu machen und die Kleidung zu wechseln. Wenn sie sich vorher auch noch mit einem kleinen Nickerchen erfrischt hätte, wäre sie für ihren Angriff sehr viel besser vorbereitet gewesen. Doch nun stand sie hilflos in Lord Devanes Empfangshalle, und der Wind war ihr aus den
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