03 - komplett
Segeln genommen worden, weil der unmögliche Mann gar nicht zu Hause war und sie ihn ihre Wut nicht spüren lassen konnte.
Trotzdem war sie entschlossen, nicht vor seinen hochmütigen Dienern klein beizugeben. Scheinbar ungerührt von ihrer peinlichen Lage ging sie auf den Sessel zu, auf den sie gewiesen hatte, und setzte sich hinein. Für den Fall, dass das ihre Absicht, sich nicht vertreiben zu lassen, nicht deutlich genug machte, setzte sie ihren Hut ab. Sie brachte ein wenig Ordnung in ihre blonden Locken und legte den Hut mit größter Entschiedenheit auf ihren Schoß.
„Erwartet Seine Lordschaft Sie denn, Miss Meredith?“, fragte Joseph Walsh mit ausgesprochen gezwungener Höflichkeit.
„Ja“, log Rachel, ohne mit der Wimper zu zucken, und blickte zur Uhr an der Wand.
Es blieben nur noch fünf Minuten bis acht. Noreen war sicher bereits dabei, das Gepäck in Beaulieu Gardens abzuladen. Sobald festgestanden hatte, dass Lord Devane nicht zu Hause war, hatte Rachel Ralph das vereinbarte Zeichen gegeben, sich bereits auf den Weg zu machen. Warum sollte ihre Dienerschaft mit ihr gemeinsam auf die Ankunft des Verräters warten?
Man hatte Ralph und Noreen deutlich anmerken können, für wie unvernünftig sie ihre Herrin hielten. Jetzt glaubte auch Rachel allmählich, dass sie recht gehabt hatten. Doch vorhin war es noch hell gewesen, und der Gedanke war ihr nicht gekommen, es könnte dunkel sein, bevor sie nach Hause fahren würde.
Müde lehnte sie den Kopf gegen den Sessel und schaute durch das Oberlicht über der breiten Haustür auf die Mondsichel und einzelne Sterne am mitternachtsblauen Himmel. Nach einer Weile wandte sie seufzend den Blick ab. Ihr Kopf sank zur Seite, und sie döste ein, schrak jedoch immer wieder auf, wenn die große Standuhr schlug.
Beim letzten Mal war es zehn Uhr und fünfzehn Minuten.
Nachdem man ihr gegen halb neun eine kleine Erfrischung gebracht hatte – ein Glas Limonade und ein paar kleine Pasteten –, ließ man sie unbeachtet in der Halle sitzen.
Der Butler schaute nur jede volle Stunde vorbei, angeblich um das Schloss an der Haustür zu überprüfen. Selbst als er ihr das leere Tablett und Glas wieder fortnahm, sagte er nichts.
In der einsamen Stille, in der nur ihre Gedanken ihr Gesellschaft leisteten, machte Rachel sich einiges klar, und besonders ermutigend war es nicht. Sie hatte mit einem bedauerlichen Mangel an Klugheit und Besonnenheit gehandelt. Weil sie sich nicht vor einem Bediensteten hatte geschlagen geben wollen, der ihr im Grunde unterstellte, sie sei seiner Aufmerksamkeit nicht wert, geschweige denn der des Earl of Devane, hatte sie sich aufgezwungen und eine Begegnung mit seinem Herrn einfach verlangt.
Vor sechs Jahren, als sie noch mit Connor Flint verlobt gewesen war, hatten sie gesellschaftlich ungefähr auf der gleichen Stufe gestanden. Er war eine gute Partie gewesen, sicher, aber sie selbst auch. Immerhin besaß sie Schönheit, Jugend und war eine reiche Erbin.
Jetzt war sie kein junges Mädchen mehr, und ihr Vater hatte das Herzstück ihres Erbes verspielt – ein Abgrund schien zu gähnen zwischen ihrer Stellung und der Connor Flints, inzwischen Earl of Devane. Ihr Stolz konnte es kaum ertragen! Mit seinen dreißig Jahren war er noch immer eine großartige Partie, und nicht nur ihr Vater mochte ihn sehr gern, sondern die gesamte gute Gesellschaft. Wenn sie nicht in so böser Stimmung gewesen wäre, hätte sie eingesehen, dass die Diener des Earls mit ihrer Zurückhaltung nur ihre Pflicht erfüllt hatten. Widerwillig gab sie jetzt zu, dass man ihr mit größerem Respekt begegnet war, als sie in ihrer Gereiztheit verdient hatte.
Je später es wurde, desto mehr wuchs ihre Reue über ihr dummes Verhalten. Diese verschwendeten Stunden hätte sie so viel nützlicher verbringen können. Gähnend schloss sie kurz die Augen. Ein Bad, ein herzhaftes Mahl, Schlaf in einem bequemen Bett – all diese verlockenden Annehmlichkeiten hatte sie sich versagt.
Worte raschelten in ihrem Kopf hin und her wie boshafte Geister und drangen allmählich in ihren schönen Traum ein, um ihn zu zerstören. Rachel drehte den Kopf abrupt zur Seite. Sie wollte nicht aufhören, mit Isabel zu lachen, mit ihr zu plaudern ... einfach mit Isabel zusammen zu sein.
Isabel hob die Hände, streckte die blassen Finger nach ihr aus, als wollte sie sie zu sich heranwinken und nicht zum Abschied winken, wie Rachel fürchtete. Doch dann tat sie weder das eine noch das andere.
Weitere Kostenlose Bücher