0302 - Der Unhold
waren entsetzt, nur ich wußte Bescheid. Aber ich hütete mich, ein Wort zu sagen, der Teufel hatte meine Lippen verschlossen. Ich spielte mit, setzte meine Kräfte ein, aber ich hatte keinen Erfolg, obwohl ich nur ein Wort hätte zu sagen brauchen. Ich habe keine Angst vor dem Monstrum, denn es gehorcht mir. Ich bin seine Leitfigur, auf mich hört es und auf keinen anderen.«
»Weißt du, wo es ist?« fragte Mandra.
»Natürlich.«
»Sag es!«
»Gleich, Inder, gleich. Es war gut, daß du allein zurückgeblieben bist. Die anderen sind zum Friedhof gelaufen und werden dort eine Überraschung erleben, wenn sie das aufgebrochene Grab sehen. Er hätte das Grab nicht aufzubrechen brauchen, denn zwischen Grab und der Außenwelt gibt es eine Verbindung. Aber er wollte die anderen schocken, und ich bin gespannt, wie sie damit fertig werden. In dieser Nacht, Inder, wird es noch vier Tote geben. Sinclair, der Chinese, und auch Claudia wird vom Schicksal nicht verschont bleiben. Mit dir aber mache ich den Anfang. Alles ist vorbereitet. Du kannst nicht…«
Rosa Beluzzi sprach nicht mehr weiter, sondern handelte. Und sie tat es auf brutale und gnadenlose Weise.
Mandra, der wirklich schnell war, reagierte viel zu spät. Bevor er noch etwas unternehmen konnte, rammte die Frau die Klinge nach unten.
Zwar zuckte Mandras Hand noch zurück, leider nicht schnell genug. Dicht hinter dem Daumen und in Höhe des Handballens drang die Klinge durch seine Hand und nagelte sie auf dem Tisch fest.
Rosa Beluzzi stieß ein gellendes Lachen aus!
***
Für einen Moment hatte ich nicht achtgegeben, verfehlte eine Sprosse, rutschte ab und fiel nach unten. Dabei schlug ich mit dem Kinn gegen die Leiter, und als ich mich mit Mühe und Not wieder gefangen hatte, war es nur ein Schritt bis zum Boden. Suko sprang rechtzeitig genug zur Seite, sonst hätte ich ihn noch erwischt.
»Willst du mich umbringen?« fragte er.
»Erst später.« Ich klopfte Staub aus meiner Kleidung und schaute dem schmalen Lichtstrahl nach, der in einen langen unterirdischen Gang hineinstach.
Wir gingen noch nicht, sondern diskutierten darüber, wohin der Gang wohl führte. Der Altstadt-Wirrwarr von Neapel ist für einen Fremden ein regelrechter Dschungel. Dies hatten wir am eigenen Leibe erfahren müssen. Da gibt es zwar Orientierungspunkte, doch sich daran ohne Führer zu halten, ist verflucht schwer.
Wir wußten nur, daß über uns der Friedhof lag und der Gang unter dem Totenacker herführte.
»Da kommen wir wieder zurück«, meinte Suko.
»Oder zum Monstrum.«
Der Chinese nickte. »Wäre mir sogar noch lieber.«
Ich hob die Schultern. »Wenn du das so sagst, bleibt mir keine andere Wahl. Also, los!«
Wir hielten uns dicht beisammen. Eine Lampe schonten wir.
Suko behielt seine in der linken Hand und leuchtete in den schwarzen Tunnel hinein.
Ich wußte natürlich nicht, wie lange er schon bestand. Es waren sicherlich Jahrzehnte, wenn nicht noch länger. Die Wände bestanden aus rauem Lavagestein. Ich merkte es, als ich mit den Fingern über sie hinwegfuhr. Für uns ein Beweis, daß wir uns im Innern eines Vulkanhügels fortbewegten.
Zum Glück war der Gang immer so hoch, daß wir aufrecht gehen konnten. Auch der Boden zeigte sich relativ eben, abgesehen von einigen Schlaglöchern oder Buckeln.
Spuren waren leider nicht mehr zu erkennen, so mußten wir auf unser Glück vertrauen.
Ich machte mir meine Gedanken darüber, daß dieses Monstrum einen so perfekten Fluchtweg bekommen hatte. So etwas kam nicht von ungefähr, dieser Weg mußte von der Bestie genau ausgeklügelt worden sein. Vielleicht hatten ihn auch Menschen, die mit ihm zusammenarbeiteten, angelegt.
War Claudias Vater der Unhold von Neapel?
Diese große Frage schwebte gewissermaßen über uns. Vorstellbar war so etwas nicht, aber wir hatten im Laufe der Jahre gelernt, mit allem zu rechnen.
Entsprach dieser Gedankengang den Tatsachen, weshalb hatte das Monstrum dann die Familie angegriffen?
Ich hoffte, das Rätsel auch noch lösen zu können.
Je tiefer wir in den Gang eindrangen, umso schlechter wurde die Luft. Man konnte sie regelrecht schmecken, und sie wurde von einem meiner Ansicht nach scharfen Brandgeruch geschwängert, den auch ein Vulkan kurz vor seinem oder bei seinem Ausbruch abgibt.
Hatte der Tunnel zunächst ein Gefälle gezeigt, so änderte sich dies nun. Geradeaus führte er weiter, und er blieb auch auf diesem Niveau. Der schmale Lichtstrahl wies uns den Weg. Auf ein Hindernis
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