0305 - Im Rattentempel
eine Chance, wenn die Rattenkönigin frei war. Er mußte dann nur schnell sein, und zwar sehr, sehr schnell…
***
Baron von Tirano fand seinen Weg zwischen den Schalen hindurch.
Er steuerte sein Ziel direkt an und ging mit steifen Schritten auf die Figur zu.
Hakim ahnte, daß sie aus Stein bestand. Er wußte aber nicht, aus welchem Material, denn es sah manchmal so aus, als würden metallische Einschlüsse hindurchschimmern.
Der Baron blieb so nahe vor der Rattengöttin stehen, daß er sie berühren konnte.
Seine freie, bleiche Linke legte er auf eine Schulter und streckte dann die Rechte mit dem Dolch vor.
Metall gegen Stein. Hakim konnte sich nicht vorstellen, daß es die Klinge schaffte, den Stein zu zerschneiden. Aber was war in diesen Augenblicken und auch in den zurückliegenden Stunden schon normal gewesen? Nichts, gar nichts. Hier standen die Gesetze der normalen Welt auf dem Kopf, und die einer finsteren Magie hatten das Kommando übernommen.
Es kam zu einer ersten Berührung.
Nicht ein Geräusch entstand, nur ein winziger Kontakt. Stein, Dolch und Vampir waren miteinander verbunden. Sie bildeten jetzt eine Einheit, und irgend etwas dieser drei Dinge mußte einfach reagieren.
Es war der Dolch!
Einen dunkelrot schimmernden Griff besaß er und eine schwarze Klinge. Bei der Klinge änderte sich das sehr schnell. Die Farbe, die innerhalb des Griffs steckte, begann zu wandern und rann der Klinge entgegen. Sie verdrängte den schwarzen Glanz und sorgte dafür, daß ihn die rote Farbe überlagerte.
Er glühte wie ein unheimliches Feuer. Der Baron blieb ebenfalls nicht still. Aus seinem Mund drang ein fauchender Laut, und eine Sekunde später zog er die rotglühende Klingenspitze von oben nach unten.
Sie zerschnitt den Stein!
Es trat genau das ein, was der zuschauende Hakim nicht für möglich gehalten hatte. Als bestünde er aus Butter, so glitt sie hinein, wurde von der Hand immer tiefer gezogen und teilte das seltsame Grab der Rattenkönigin in zwei Hälften.
Hakim ging zurück. Sosehr ihn dieses Ereignis auch mitnahm und ansprach, er hatte seine eigene Sicherheit nicht vergessen.
Vielleicht fand er jetzt eine Chance zur Flucht, und er bewegte auch seinen rechten Arm, drehte die Schulter, damit er an das Gewehr kam.
Ein Schuß in den Rücken des Vampirs! Damit würde er einiges erreichen, denn die Kugeln besaßen ein Kaliber, das auch Elefanten von den Beinen haute.
Der Vampir-Baron hatte ihn vor den Ratten gewarnt. Und diese Warnung war nicht umsonst ausgesprochen. Sie ließen den Menschen keinen Augenblick aus ihren Blicken, und als er jetzt zurückging, da reagierten sie ebenfalls.
Hakim sah es nicht, er spürte nur die Aufprallwucht der Körper, als diese in seinen Rücken hämmerten.
Fast hätte er geschrien, denn die scharfen Zähne drangen durch seine Kleidung! Auf der Haut hinterließen sie Wunden. Hakim konnte sich nur mit großer Mühe beherrschen.
Hakim blieb nicht nur stehen, er ging genau die Schritte wieder nach vorn, die er zuvor in entgegengesetzter Richtung zurückgelegt hatte. An derselben Stelle blieb er stehen.
Sofort verschwand der Druck aus seinem Rücken. Allein die Schmerzen blieben. Er hörte, wie die Körper wieder zu Boden klatschten und konzentrierte sich nun auf die Befreiung der Rattenkönigin.
Der Vampir hatte seine Aufgabe beendet. Ihm war ein langer Schnitt gelungen, der sein Ende erst dicht über dem Boden fand.
Die Klinge hatte das Gestein tatsächlich in zwei Hälften geschnitten.
Hakim wollte in das seltsame Grab hineinsehen, der Baron ließ es nicht zu. Er deckte die Öffnung noch mit seinem Körper ab.
Dennoch glaubte der Wildhüter, einen goldenen Schimmer zu erkennen, wobei er sich aber auch getäuscht haben konnte.
»Karni-Mata!« sprach der Vampir-Baron. »Kein Weg war mir zu weit, keine Strapaze zu schlimm, um dich endlich aus deiner langen Gefangenschaft zu erlösen. Ich habe den Dolch gefunden, der mit deinem Blut gefüllt ist. Ich habe das Gefängnis geöffnet und bitte dich nun, dieses Grab zu verlassen. Komm mir entgegen, Karni-Mata, und nimm meine Hand, damit ich dich führen und dir all deine Diener zeigen kann, die schon sehnsüchtig auf dich warten!«
Der Blutsauger streckte einen Arm aus. Es war der linke, in der rechten Hand hielt er den Dolch, dessen Klinge nun wieder eine normale Farbe angenommen hatte. Sie schillerte ebenso schwarz wie vor der Befreiung.
Ob die Rattenkönigin die Hand des Blutsaugers umklammert hatte oder
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