0312 - Ihn peitschte die Angst
Gangster zunächst einmal wie ein gewöhnlicher Mensch aussieht. Phil tat, als ob er es nicht glauben könnte.
Unterdessen spendierte ich die zweite Lage. Selbstverständlich durften wir unsere Fragen nicht zu direkt stellen, wir mußten es eigentlich mehr dem Zufall überlassen, und der Zufall ließ an diesem Vormittag auf sich warten.
Ich fragte mich schließlich, ob man es noch verantworten konnte, eine vierte Lage für das trinkfreudige Gesindel zu bezahlen, als der erste richtige Fingerzeig wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam.
Der »Rotzwerg« warf die Frage in die Debatte, was jeder mit so viel Geld anfangen würdl, wenn er an dem Überfall beteiligt gewesen wäre. Die Meinungen schwirrten durcheinander, und dann sagte der schmalgesichtige Bursche plötzlich:
»Ich würde mindestens zwei Jahre so weiterleben wie bisher. Auf keinen Fall wäre ich so blöd wie ,Tinten-Al‘.«
»Wieso wie ,Tinten-Al‘?« fragte der rotblonde Knirps interessiert.
Phil und ich gaben uns die größte Mühe, so zu tun, als ob uns dieser kurze Wortwechsel nicht interessierte, aber in Wahrheit registrierten wir alles. Der Schwarzhaarige zuckte geringschätzig die Achseln.
»,Tinten-Al‘ saß vor der Bowery-Mission auf der Bank und blätterte fünf Kilo Morgenzeitungen durch. Überall suchte er die Schlagzeilen von dem Überfall. Wenn ich nun zufällig ein Schnüffler gewesen wäre, he? Ich würde mir doch meine Gedanken machen?«
»,Tinten-Al‘ ist nichts als ein lausiger Angeber«, behauptete der »Rotzwerg« und rutschte vom Barhocker herunter. Er war so klein, daß er im Stehen kaum über die Theke blicken konnte.
»Ich muß mal ’raus«, sagte er und trippelte mit seinen kurzen Beinchen zwischen den Tischreihen hindurch.
Das Gespräch konzentrierte sich auf die Frage, was man mit einer Million Dollar anfangen würde. Phil und ich spannen den Faden fleißig mit. »Rotzwerg« kam zurück. Wir blieben fast noch eine Stunde, dann erklärten wir mit zwinkernden Augen, daß wir eine Verabredung im Central Park hätten.
Bevor sie uns laufenlassen wollten, mußten wir ihnen die beiden Mädchen beschreiben. Phil erledigte das mit der wuchernden Phantasie eines Drehbuchschreibers aus Hollywood. Dann gelang es uns endlich, uns abzusetzen. Bis zum Jaguar sprachen wir kein Wort über das, was uns doch bei jedem Schritt beschäftigte: »,Tinten-Al‘. Wer war ,Tinten-Al‘?«
Als ich die Tür aufgeschlossen hatte, sagte Phil:
»Die Zentrale sucht uns, Jerry.«
Er zeigte auf das Ruflämpchen des Sprechfunkgerätes. Da er auf der Seite des Funkgerätes eingestiegen war, nahm er den Hörer ab und meldete sich. Der Zusatzlautsprecher war nicht eingeschaltet, so daß ich nicht mithören konnte, was durch den drahtlosen Telefonhörer in Phils Ohr drang. Jedenfalls schien es eine wichtige Mitteilung zu sein, denn sein Gesicht zeigte einen konzentrierten gespannten Ausdruck.
»Was ist los?« fragte ich, als er den Hörer auflegte.
»Man hat eine Leiche aus dem East River gefischt«, erklärte Phil. »Sie war schon tot, als man sie ins Wasser warf. Zwei Kugeln aus einem 38er Colt.«
Ich stieß einen knappen Pfiff aus.
»Aus dem 38er Colt des erschossenen Fahrers fehlten zwei Kugeln«, murmelte ich.
»Das ist es ja«, nickte Phil. »Vielleicht haben wir jetzt gleich zwei Spuren auf einmal: Einen erschossenen Gangster und den Namen ›Tinten-Al‹.«
***
»Ist Ihr Freund krank?« fragte Lieutenant Anderson von der Mordkommission der Stadtpolizei, als ich sein Büro betrat. »Oder aus welchem anderen Grunde sieht man Sie allein, Cotton?«
»Falls Sie zufällig den Spitznamen ,Tinten-Al‘ kennen, würde Phil binnen zehn Minuten hier sein«, erwiderte ich. »Während ich mir den Toten ansehen soll, will Phil im Hauptquartier der City Police in Erfahrung bringen, wer dieser ,Tinten-Al‘ sein könnte.«
»Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen«, meinte Anderson kopfschüttelnd. »Den Namen habe ich noch nie gehört. Aber setzen Sie sich doch, Cotton. Wie wäre es mit einem Becher Kaffee?«
»Auch zwei, wenn ich Ihren Etat damit nicht übermäßig belaste.«
»Na, Kaffee ist das einzige, was wir uns noch ausreichend erlauben können, ohne daß uns die Abrechnungsabteilung auf den Hals kommt.«
Anderson ging ins Vorzimmer, wo sechs Detektive an ihren Schreibtischen hockten und uralte, von der Stadt ausrangierte Schreibmaschinen bearbeiteten. Für die Polizei sind solche Ungetüme dann immer noch gut genug. Aus der
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