0314 - Elektronische Hölle
sich zu setzen. Ziemlich steif blieb er auf dem Spezial-Stuhl hocken.
Seine Arme zitterten, als er sie in die Höhe schwang und den Helm vorsichtig überstreifte.
Er war ein wenig klein für seinen Kopf. Der Helm erinnerte an ein Käppi aus Metall. Angenehm schien es für Boßbach auch nicht zu sein, denn er runzelte ein paarmal die Stirn.
Mike Broicher hatte seine Waffe längst eingesteckt. Er trat nun zur Seite, damit Harry Boßbach freien Blick auf die gesamte Multiwand besaß. »Du kannst dich ruhig bequem hinsetzen, Harry«, sagte Broicher.
»Ich mache das auch immer.«
»Siehst du dir hier die Filme an?«
»Natürlich!«
»Was denn für welche?«
»Die ganze Palette.«
»Auch diese Sex-Streifen?«
»Klar.«
»Dann leg doch einen Film in den Recorder. Ich habe lange keinen mehr gesehen…«
»Das ist nicht nötig, Harry.« Mike ging zu ihm. »Du mußt dir nur vorstellen, was du sehen willst. Nur vorstellen, mein Lieber.« Er beugte den Kopf vor und begann zu flüstern. »All deine Träume werden wahr. Die Gedanken und Wunschvorstellungen, die dein Unterbewußtsein produziert, werden hochgespült und zeichnen sich zwanzigmal ab. Auf jedem Schirm erscheint das was du dir ausgedacht hast. Ist das nicht stark?«
»Toll. Aber ist das wirklich wahr?«
»Wenn ich es dir sage…«
»Soll ich jetzt?«
»Bitte, fang an.«
»Klar, klar.« Plötzlich war Boßbach aufgeregt. Mike Broicher trat zurück. Seine Lippen hatten sich spöttisch verzogen. Harry würde sich wundern, wenn er seine Wünsche und Vorstellungen sah. Der Teufel hatte die Macht und die Kontrolle über die Wand. Er würde die Kontrolle auch über den Menschen bekommen, der vor ihr saß.
Mike schaute nicht mehr auf den Killer, er wollte sehen, wie die Monitoren reagierten.
Noch waren es graue Flächen, das änderte sich schnell. Die Gedanken des Harry Boßbach zeichneten sich plötzlich auf den Schirmen ab. Es waren schreckliche Gedanken.
Nicht nur einer, sondern ein Wirrwarr von Empfindungen und Gefühlen, so daß praktisch auf jedem Monitor ein anderer Film ablief.
Das begann beim lustigen Comic und endete beim schauerlichsten Horror-Streifen.
Harry Boßbach mußte eine völlig zerrissene Psyche besitzen. Er konnte sich nicht für einen Film entscheiden und ließ sich zudem von der Vielzahl der zu sehenden Bilder faszinieren.
Szenen aus Kriegsfilmen sah er. Da rollten Panzer und feuerten Kanonen. Auf anderen Monitoren waren Schiffe und Flugzeuge zu sehen. Daneben das mit Blut beschmierte Gesicht eines Vampirs.
Darunter lachte Donald Duck in seiner unnachahmlichen Art, und wieder ein anderes Bild zeigte gefährliche Roboter, die dabei waren, Häuser zu vernichten.
Ein Musiker hämmerte auf seiner E-Gitarre. Nebenan stiegen Zombies aus einem Grab und fielen über einen Menschen her.
Szenen aus einem Schlafzimmer wurden ebenfalls gezeigt. Sehr frei, offen und auch hart.
Darüber sah der Betrachter eine schnulzige Liebeszene, wie man sie in den 50er Jahren im Kino präsentiert bekam.
Ein Werwolf erschien.
Sein Maul stand offen. Gelblicher Geifer tropfte hervor. Seine Krallen waren blutbesprenkelt.
Schrecken, Normalität, Gewalt, Liebe und Sex. Das alles zeigte die Wand, das waren seine Gedanken, und Harry Boßbach saß steif auf dem Stuhl, wobei er mit weit geöffneten Augen und ungemein fasziniert zuschaute.
Blitzschnell wechselten die Szenen, erschienen andere, noch tiefer aus seinem Unterbewußtsein und noch grauenvoller.
Schon bald nicht mehr zu ertragen für einen normal denkenden Menschen, aber Boßbach ließen sie nicht los.
Mike Broicher schaute zu. Der Teufel hatte ihm wirklich nicht zuviel versprochen, und er war gespannt, wie es wohl weiterging.
›Ich sorge für einen Schluß, der dir gefallen wird, Mike!‹ Die Stimme war wieder da, und Mike zuckte hoch.
»Wie denn?«
›Laß dich überraschen…‹ Darauf war Broicher gespannt. Bisher hatte er nichts gegen Harry Boßbach gehabt. Er hatte ihn stets für einen etwas schwerfällig wirkenden Burschen gehalten, der immer die neuesten Witze kannte.
Dies allerdings hatte sich schlagartig geändert. Plötzlich haßte er Boßbach. Er wollte dessen Tod.
Mit einem Mal und ohne Vorwarnung verschwanden die Bilder von den Schirmen.
Boßbach zuckte zusammen. Mike hörte ihn stöhnen und stellte sich so auf, daß er dem anderen ins Gesicht schauen konnte.
Es war eine Maske aus Schweiß und Angst. Die Haut glänzte, als hätte jemand einen dicken Ölfilm darauf verteilt. Die
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