032 - Der Opferdolch
der Nacht verteidigt.
In dieser Nacht aber geschahen schreckliche Dinge. Es regnete Blut vom Himmel, Flammen loderten aus den Spitzen der Lanzen und den Helmen der Kämpfer, und unheimliche Klänge, die aus der Luft oder dem Innern der Erde kamen, ängstigten sie. Es roch wie auf einem Schlachtfeld voll verwesender Leichen. Plötzlich aber, als der volle Mond hinter einer Wolke verschwand, tat sich die Erde auf und spie den Schwarzen Bey und seine Männer aus. Aus einem unterirdischen Gang waren sie gekommen und tauchten mitten unter den Kämpfern des Skanderbeg auf. Ein fürchterliches Gemetzel begann. Skanderbeg selbst focht gegen den Schwarzen Bey. Mehrmals durchbohrte er den Leib des Gegners mit der Klinge, aber der fiel nicht um. Bis Skanderbeg sein Schwert mit dem Eisenhandschuh an der Klinge packte und den Griff mit dem Handschutz dem Schwarzen Bey wie ein Kreuz vorhielt. Da erstarrte dieser. Skanderbeg hieb ihm mit dem Schwertgriff zwischen die Augen, immer wieder, bis der Schwarze Bey zu Boden stürzte. Seine Männer unterlagen den Kämpfern des Skanderbeg. Der Held öffnete das Visier des Gegners, zog die Maske weg und schaute ihm ins Gesicht.
Der Schwarze Bey hatte den Körper eines jungen kräftigen Mannes, aber das fleischlose Gesicht einer uralten Mumie. Sein Kopf sah wie der des Satans selber aus. Sein Körper aber zeigte keine Wunde von den Schwerthieben und -stichen, die Skanderbeg ihm beigebracht hatte. Der Held ließ den Schwarzen Bey mit seinen letzten überlebenden Getreuen auf einen Scheiterhaufen binden. So gräßliche Dinge hatten sie auf der Burg gefunden, daß harte, kampferprobte Männer, die durch viele Schlachten gegangen waren, wie kleine Kinder zu weinen anfingen. Skanderbeg selbst entzündete den Scheiterhaufen. Der Schwarze Bey, jenes gräßliche Ding mit dem Mumiengesicht, lachte schaurig, als die Flammen emporloderten. ›Hütet euch!‹ rief er. ›Glaubt nicht, daß ihr mich töten und vernichten könnt! Aus meiner Asche werden Greuel auferstehen und ein Grauen zeugen, das alles bisher Dagewesene übertrifft. Aus meiner Asche wird der Mbret entstehen, der Herrscher der Untoten, und seine Scharen werden eure Kinder und Kindeskinder fressen!‹ Dann verbrannte der Schwarze Bey mit seinen Männern und den wüsten Weibern, die auf der Festung gelebt hatten. Skanderbeg aber ließ seine Asche sammeln, in einer silbernen, geweihten Urne verschließen und in den Gewölben einmauern.
Im Jahre 1944 jagte die Nationale Befreiungsarmee die Deutschen und die Italiener aus dem Land. Später spielte die alte Festung Kanina eine Rolle in den Kämpfen zwischen den jugoslawischen und albanischen Partisanen und den deutschen und italienischen Soldaten. Die Deutschen und Italiener hielten die Festung besetzt, von der man bei klarem Wetter bis hinüber nach Italien schauen konnte. Sie hatten auch ein paar Kanonen aufgestellt. Die Partisanen schlichen sich nachts an die Festung heran, sprengten das Haupttor und drangen ein. Es gab einen wilden Kampf mit Maschinenpistolen und Handgranaten, und schließlich gewannen die Partisanen die Oberhand. Im Laufe der Nacht säuberten sie die Festung. Sie machten keine Gefangenen. Wer lebend in ihre Hände fiel, wurde an die Wand gestellt. Die Soldaten hatten Wein auf der Festung gelagert, und die Partisanen fanden ihn und tranken ihn in den Gewölben. Als der Morgen graute, waren sie allesamt betrunken. In ihrem Übermut stöberten sie in den Grüften herum. Sie brachen Sarkophage auf und drangen in jahrhundertealte Grabkammern ein. In einer der Kammern fanden sie ein silbernes Gefäß, halb mit Staub und Asche gefüllt.
Außer dem Gefäß entdeckten die Partisanen in einer Nebengruft noch etwas: Einen verwundeten italienischen Offizier, der sich dort verkrochen hatte. Er war der einzige überlebende Soldat auf der Festung. Das Gefäß und der Gefangene wurden zu dem Anführer der Partisanen gebracht, zu Mirko Mihailic. Er trat dem Gefangenen zuerst einmal in den Leib und betrachtete dann das Gefäß von allen Seiten. Mihailic wollte es ausschütten, denn das Silber war eine schöne Arbeit und wertvoll, aber einer der Einheimischen unter den Partisanen warnte ihn. ›Es ist die Asche des Schwarzen Beys‹, sagte er und erzählte Mirko Mihailic von dem Fluch und der Prophezeiung. Der betrunkene Partisanenführer lachte ihn aus. ›Aus dieser alten Asche soll ein Mbret werden, ein Herrscher der Untoten? Da müssen wir schon nachhelfen. He, ihr Leute! Wer von
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