032 - Der Opferdolch
der Hand und arbeitete weiter. Als es Abend wurde, war die Öffnung groß genug, um hindurchzukriechen.
Da kehrten die Untoten und Vampire zurück. Dorian leuchtete ihnen entgegen. Wieder sah er für Augenblicke die gnomenhafte Gestalt mit dem riesigen Kopf. Im Schein der Taschenlampe erkannte er, daß das Gehirn des Mbret freilag – oder zumindest ein Teil davon. Es war aus dem Schädel herausgequollen.
Sekunden später war der Mbret aus dem Lichtschein verschwunden.
Vavra entriß Dorian den Dolch und preßte ihn stöhnend gegen ihren Kopf. Auch Dorian spürte jetzt die bohrenden Schmerzen; er folgte ihrem Beispiel. Diesmal schlug der hypnotische Angriff des Mbret bei beiden fehl.
Vor der Öffnung in der Mauer drängten sich Vampire und Untote. Ihre Augen glühten. Sie griffen in die Öffnung und streckten Dorian und Vavra die Klauenhände entgegen.
Dorian schlug ein paarmal mit dem Manichäerdolch zu. Seine Bewegungen waren unkontrolliert. Die Erschöpfung machte sich bemerkbar. Außerdem verspürte er Hunger und Durst.
Es war den Untoten anzumerken, daß sie nichts lieber getan hätten, als die Mauer niederzureißen und über Dorian und Vavra herzufallen, aber der Mbret hielt sie zurück. Sie schleppten nur Maurerwerkzeuge und Mörteleimer herbei und begannen, die Öffnung wieder zuzumauern. Der Dämonenkiller konnte sie nicht daran hindern.
In ihrem Verlies war es stockfinster. Zum Glück bekamen sie wenigstens genug Luft, wenn sie auch mit dem Gestank der Leichen verpestet war.
Dorian hockte am Boden, völlig ausgepumpt. Seine Arme hingen schlaff herab, die Hände lagen auf dem Kalkgestein des Bodens. Durch die dicke Mauer hörte er den Sprechgesang Faik Nolis.
»Hört mich an, ihr Menschenbrut! Hört mich und versteht mich gut! Es steigen die Leichen wohl aus dem Grab und würgen euch Atmern das Leben ab. Der Mbret, den keine Macht der Erde hemmt, mit seinen Geschöpfen die Welt überschwemmt. Der Mbret den großen Kampf gewinnt, und die Dämonenherrschaft beginnt.«
Dorian hätte nicht sagen können, in welcher Sprache Faik Noli sang und redete. Dennoch erfaßte er den Sinn der Worte sofort. Sie drangen ihm ins Innerste, erschütterten ihn.
Vavra Noli kniete und betete den Rosenkranz auf albanisch.
Sie warteten auf den Morgen. Die Nacht über an der Mauer zu arbeiten, hatte keinen Sinn. Sie mußten sich ausruhen und neue Kräfte sammeln.
Die folgenden Tage erschienen Dorian Hunter wie ein nicht enden wollender Alptraum. Das Wasser, das von den Wänden tropfte, hielt sie am Leben; dennoch wurden sie immer schwächer. Wenn es ihnen tagsüber gelang, eine Öffnung in die Mauer zu brechen, mauerten die Untoten sie nachts wieder zu; und sie machten sie immer dicker.
Eine kleine Öffnung aber, gerade groß genug, daß man den Arm durchstecken konnte, ließen die Untoten und Vampire frei. Sie taten es absichtlich, um Dorian Hunter und Vavra zu quälen. Vor der Öffnung, außerhalb der Reichweite des Dämonenkillers, bauten sie einen Tisch auf und stellten die köstlichsten Speisen und Getränke darauf. Der Duft einer gebratenen Gans stieg dem Dämonenkiller in die Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ein Vampir verschüttete vor seinen Augen Rotwein.
Vavra Noli weinte, fluchte und schrie, als sie die gebratene Gans roch. Der Speichel lief ihr aus den Mundwinkeln. Sie preßte ihr Gesicht in die schmale Öffnung. Der Vampir riß eine Gänsekeule ab und hielt sie ihr hin. Als Vavra zubeißen wollte, riß er sie hohnlachend weg.
Die Batterie der Stablampe war längst leer, aber der Mbret sorgte nachts für ein diffuses Zwielicht, in dem rote Gasschwaden wogten. Manchmal feierten die Wiedergänger in dem unterirdischen Gang gräßliche Orgien. Sie trieben Opfer an der Mauer in die Enge und fielen über die zu Tode Geängstigten her.
Irgendwann trieben sie eine junge, schwarzhaarige Frau herein. Ihr Gewand war zerrissen, und ihre nackten Brüste ragten unter den Fetzen hervor. Sie schrie, preßte das angstverzerrte Gesicht an die Öffnung in der Mauer, flehte und bettelte. Dorian verstand sie nicht.
»Was sagt sie?« fragte er Vavra.
»Du sollst sie retten«, sagte die in stoischer Schicksalsergebenheit am Boden hockende Vavra. »Sie will dir alles geben, was sie hat, und sich selbst dazu.«
Dorian Hunter wandte sich ab. Er konnte das verzweifelte Gesicht der jungen Frau nicht mehr sehen. Dann packten die Untoten sie. Dorian preßte die Hände gegen die Ohren, aber er hörte die
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