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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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durch Unterweisung, Beobachtung und Erfahrung gelernt hatte, und sie war sicher, dass der Verstoß gegen die Regel, „ich zuerst", in einer Katastrophe enden werde. Aber was bedeutete „ich zuerst"? Hieß das, sich einfach das eigene Leben auf Kosten von allem anderen zu bewahren? Nein. Sie wusste, dass sie diese Entscheidung bereits getroffen hatte, als sie beschlossen hatte, ihr Leben zu riskieren, um ihre Freunde vor dem Tod durch die Folter zu bewahren. In diesem Fall bedeutete „ich zuerst", dass das Leben, so wie sie es gekannt hatte, ehe sie mit Telor und L*eri zusammen gewesen war, und zu dem sie zurückkehren musste, falls sie beide verlor, im Vergleich zu dem, was sie bei ihnen gehabt hatte, nichts wert war. Es war eine vernünftige Entscheidung gewesen, das Risiko einzugehen.
    Aber was wäre gewesen, hätte man sie gefangen genommen und Telor sie retten müssen? Hätte sie sagen können, so wie er das getan hatte: „Töte mich und fliehe?"
    War es vernünftig, wenn ein Mensch sein Leben und sein Glück opferte, damit ein anderer beides behielt?
    Derweil Carys diesen Gedanken nachhing, wurde sie sich dunkel bewusst, dass Telor etwas zu ihr gesagt und sie genickt hatte und ihm zur Wiese zurück gefolgt war. Dort hatte er seine Tunika und ihre gesammelten Beeren, Pilze und Wurzeln an sich genommen und den Heimweg angetreten. Beim Bach hielt man an, wusch die Erde von den Zwiebeln und Wurzeln, die Carys ausgegraben hatte, und sie arbeitete so schnell, wie sie konnte, sich schwach der Ungeduld bewusst, die Telor, der ihr half, ausstrahlte. Im Unterbewusstsein hatte sie den Eindruck, sich über Telors Ungeduld wundern zu müssen, doch als man wieder bei dem Baum war, in dem man das
    „Lager" aufgeschlagen hatte, war sie so tief in Gedanken versunken, dass sie sich nicht mehr mit irgendeinem anderen Problem befasste. Sie wurde, als Telor sie an sich zog und stürmisch küsste, aus den Grübeleien über die Liebe und das Leben gerissen, ohne dass ihre wichtigste Frage beantwortet worden war.
    „Genug der Grübeleien, mein Schatz", sagte er leise und drückte sie an sich. „Wenn du mir nicht verraten willst, worüber du nachdenkst, dann werde ich dich nicht bedrängen, vorausgesetzt, du versicherst mir, dass du nicht böse auf mich bist."
    Caiys zwinkerte, als sei sie soeben aus tiefem Schlaf erwacht. Sie hatte nicht mitbekommen, dass Telor sie gefragt hatte, woran sie denke, und sah nun, dass er sie ängstlich anschaute. „Das kann ich dir nicht sagen", erwiderte sie lächelnd,
    „nicht, weil meine Gedanken geheim sind, sondern weil ich nicht weiß, wie ich sie richtig zum Ausdruck bringen kann. Würde ich sagen, was ich gedacht habe, klänge das lächerlich. Hingegen war das, was du zu mir gesagt hast, wichtig für mich."
    „Was ich gesagt habe? Über was?" fragte Telor. Da er sah, wie bestürzt Caiys wirkte, fuhr er fort: „Oh! Zum Teufel mit meiner Dummheit! Du begreifst wohl nicht, wie ich zu dir sagen konnte, dass du mehr wert bist als Hass und Rachedurst, und mich dann so aufführte, als sei das eine Lüge gewesen. Bitte, Carys! Versuch zu glauben, dass mein Drang, Orin, diesen gemeinen Emporkömmling, zu vernichten, mehr ist als nur das Bedürfnis, meinen Lehrmeister zu rächen. Es ist der Drang, die geringe Sicherheit, die wir Spielleute haben, zu schützen. Wirst du versuchen, mir zu verzeihen, dass ich mich der Liebe ab- und dem Hass zugewandt habe?"
    „Telor!" Carys starrte ihn an. „Deswegen bin ich nicht verärgert. Wir können jederzeit miteinander schlafen. Ich bin zu Tode verängstigt. Was können wir, zwei Männer und eine Frau, tun, um einen hohen Herrn zu vernichten, der über ein befestigtes Herrenhaus und eine Truppe Bewaffneter gebietet?"
    „Komm mit mir auf den Baum. Wir können essen und dabei reden."

14. KAPITEL
    „Auch ich sterbe Todesängste", sagte Deri, nachdem Telor und Caiys auf den Baum geklettert waren und es sich in der Astgabel bequem gemacht hatten. Durch die Bemerkung war offenkundig, dass Deri zugehört und Telor und Caiys wahrscheinlich auch beobachtet hatte. Er half ihnen, Carys' Tunika auszubreiten, und nahm sich eine Zwiebel, schaute jedoch, während er sie abpellte, Telor an. „Ich dachte, du wolltest in Sicherheit sein, bis die Suche nach uns eingestellt wurde, und dann weiterziehen. Ich weiß, Telor, dass du um Eurion trauerst, aber er war ein alter Mann. Er hätte nicht mehr lange zu leben gehabt..."
    „Wirst du mir zuhören?" bat Telor in etwas

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