0321 - Freitag - Mordtag
seltsamen Rot, in dem sich noch fingerlange Schlieren bewegten.
Dieser Dolch hatte mal einem anderen Mann gehört. Der Höllenfürst persönlich hatte ihn zusammen mit sechs anderen, gleich aussehenden geraubt und sie alle sieben fortgeschleudert.
Einer war nun zu Boysen gekommen, um das Erbe zu erwecken, das in ihm schlummerte. Er war bereit. Er sollte die Personen suchen, die zu seinem Kreis gehörten.
Konnte er es schaffen?
Frank Boysen wußte es nicht. Zack Yvon, der Killer, gehörte nicht dazu. Er war nur ein Werkzeug gewesen, nicht mehr als eine Maschine, die andere für sich gebraucht hatten, damit alles ins Rollen kommen konnte. Das Grauen war nah.
Noch konnte er mit dem Dolch nichts anfangen. Dennoch spürte er, daß von ihm eine seltsame Kraft ausging. Er konnte sie auch als einen Lockruf bezeichnen, als eine magische Strahlung, die auf dem Weg war, ihre Empfänger zu erreichen.
Boysen grübelte darüber nach, wer sie sein konnten. Er wußte es.
Tief in seinem Innern lag dieses Wissen verborgen, dennoch schaffte er es nicht, dies an die Oberfläche zu spülen. Da gab es noch zu viele Hindernisse, zudem stand der große Plan erst am Beginn. Es würde Zeit vergehen, bis sie alle da waren.
Boysen hob die Schultern. Er packte den Dolch und steckte ihn wieder weg. Seine Jacke verbarg die Scheide vor neugierigen Blicken. Auch der Griff war nicht mehr zu sehen, und während Boysen am Tisch saß und lächelte, spürte er, daß sich in seinem Kopf etwas veränderte.
Da war ein seltsames Rauschen, als stünde er in der Nähe des Meeres und schaute den Wellen zu, wie sie gegen den Strand liefen.
Dabei sah er auf das Fenster, dessen Scheibe vom Sonnenlicht getroffen wurde und deshalb fast noch schmutziger aussah, als sie in Wirklichkeit war.
Die Scheibe war nicht groß, ein Rechteck mit einem kreuzförmigen Rahmen.
Plötzlich veränderte sie sich. Unsichtbare Hände schienen an ihr zu zerren und sie zu dehnen. Sie wurde zu einer Leinwand, drückte das Mauerwerk zusammen und erinnerte den am Tisch sitzenden Frank Boysen an einen großen Spiegel mit matter Oberfläche, bei der es ihm nur mühsam gelang, hineinzuschauen.
Das Fenster war im Prinzip eines geblieben. Jedoch ein Fenster in eine andere Welt.
Nicht die, in der er lebte. Es war eine grüne Welt mit weiten Ebenen, kleinen, flachen Hügeln, dunklen Streifen, die sich als Wälder entpuppten, kristallklaren Bächen und manchmal sehr hohen, alten Eichen.
Ein Paradies?
Beinahe hatte Frank Boysen das Gefühl. Irgend jemand ließ ihn in das Paradies hineinschauen, in ein Schlaraffenland, wo Milch und Honig flossen und das eigentlich das Traumland einer frustrierten Menschheit war. Ihm als lebender Toter war dieser Blick gestattet.
Seltsamerweise fühlte er sich ungemein wohl, als er das Bild sah.
Obwohl er das Land nicht kannte, war es ihm so vertraut, als hätte er dort schon einmal gelebt.
Frank Boysen war fasziniert. Er wollte unbedingt sprechen, bewegte auch die Lippen, aber es drang kein Wort aus seinem Mund.
Er schaffte es nicht, akustisch einen Satz zu bilden. Nur seine Gedanken waren vorhanden, und sie gingen auf eine geheimnisvolle Reise. Sie drangen tief in das andere unbekannte Land ein, das so weit vor ihm lag und nach dem er sich so unwahrscheinlich sehnte.
Wie kam es dazu, daß er diese Beziehung zu dem Land besaß?
Eine Antwort wußte er nicht, aber er vernahm plötzlich eine flüsternde Stimme, die nur in seinen Gedanken zu hören war.
»Frank Boysen, du bist ein Sohn dieses Landes. Du hast hier vor langer, langer Zeit schon einmal gelebt, bist gestorben und wiedergeboren. Wer einmal aus diesem Land stammt, kann das Erbe niemals vergessen. Er wird es nicht überwinden, denn er braucht es, um Kraft zu schöpfen. Ein jeder will hierher zurückkehren oder zumindest den Kontakt halten. Auch dir ist es so ergangen. Deshalb diese unbeschreibliche Sehnsucht nach diesem Flecken.«
»Ist es das Land der Phantasie?«
Boysen wunderte sich, daß er diese Frage stellen konnte. Sie ging ihm glatt über die Lippen. Eine Antwort bekam er auch.
»Es ist nicht das Land der Phantasie. Aber das Land der Träume, der großen Magie.«
»Sage mir den Namen.«
»Es gibt viele Namen dafür, aber einer nur stimmt. Ich sage ihn dir jetzt: Aibon! «
Boysen zuckte zusammen.
Aibon!
Er dachte nach. Hatte er den Namen schon einmal gehört? Nein, noch nie, aber er hatte gespürt, daß er dorthin gehörte. Seine Sehnsüchte und Träume waren allein in diese
Weitere Kostenlose Bücher