0322 - Das Fratzengesicht
Antwort schuldig, Miß Perth.«
Die in ihrer Kleidung und dem ganzen Gehabe so kühl wirkende Susan Perth hob ruckartig beide Arme. »Natürlich ist es eine Legende«, erklärte sie. »Aber eine verdammt miese, denn es gibt in Hongkong Leute, die daran glauben. Für sie existiert das Fratzengesicht ebenso wie für Sie, Mr. Sinclair.«
»Und für uns beide«, warf Suko leise ein.
»Meinetwegen auch das.«
Ich schlug die Beine übereinander. »Was sind das eigentlich für Leute, Miß Perth?«
»Wahnsinnige, Idioten, Sektierer meinetwegen.«
»Die Sie unter Kontrolle haben?«
»Gern hätten«, verbesserte sie mich. »Es ist ein Geheimbund. Aufgezogen wie die Tongs. Wer zu ihnen gehört, hat ein Zeichen in die Haut eingebrannt bekommen.«
»Und welches?«
Der Reihe nach schaute sie uns an. »Einen Januskopf, Mr. Sinclair. Wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Natürlich.«
»Halb Chinese – halb Vampir, nicht wahr?« sagte Suko.
Susan Perth nickte. »So ist es.«
»Und wo können wir diese Geheimgruppe finden?« wollte ich von meiner Kollegin wissen.
»Wenn ich das wüßte, hätten wir das Rattennest längst ausgehoben«, antwortete sie bissig.
Ich blieb cool. »Ihren Worten entnehme ich, daß Ihnen der Geheimbund schon Ärger bereitet hat.«
»Ja.«
»Und welchen?«
Sie preßte für einen Moment die Lippen zusammen und runzelte die Stirn. So recht schien sie mit der Sprache nicht herausrücken zu wollen.
Schließlich nickte sie heftig. »All right, Sie hätten es sowieso irgendwann erfahren, deshalb kann ich es Ihnen auch selbst sagen. Es hat einen Toten gegeben. Er war nicht nur Polizist, sondern auch mein Bruder…«
***
Mandra Korab erlebte die Vorstufe zur ewigen Verdammnis!
Er wußte nicht, ob er Mensch, Monster oder Geist war. Besaß er noch einen Körper, oder besaß er keinen mehr? Diese Fragen quälten ihn, und daß dies möglich war, bewies ihm gleichzeitig, daß er noch denken konnte wie ein normaler Mensch.
Er war nicht tot!
Doch so gut wie.
Er schwebte, klemmte gleichzeitig fest, sah alles und konnte sich um keinen Deut bewegen. Sein Gefängnis war absolut sicher, ebenso wie das der anderen Gesichter innerhalb der Bordwand. Er war in dieser alten Dschunke gefangen, erlitt das gleiche Schicksal wie auch die übrigen, nur eines unterschied ihn von den unheilvollen Fratzen.
Der Inder war kein Vampir!
Darüber dachte er unter anderem nach. Man hatte ihn nicht zu dem gemacht, was die anderen waren. Bisher war der Kelch des Grauens an ihm vorbeigerutscht. Ob dies jedoch anhalten würde, war die große Frage. Mandra selbst glaubte nicht daran.
Was nutzten ihm seine Dolche, was nutzte die innere Stärke, die bei ihm zweifelsohne vorhanden war?
Das Fratzengesicht hatte ihn überlistet und ihn gegen seinen Willen zu einem Mitläufer gemacht. Es würde ihm nicht mehr gelingen, diesen Gegner zu bekämpfen und zu schlagen.
Mandras Gesicht steckte in der Bordwand. Er hörte die Stimmen der anderen. Ihr Wispern, ihr Flüstern und manchmal auch das schadenfrohe Lachen, das sich auf ihn bezog.
Ja, sie lachten ihn aus. Sie wußten, daß er gekommen war, um das Fratzengesicht zu vernichten, doch wer konnte diesen Dämon schon töten, der sein Netz über die Stadt gespannt hatte?
Niemand!
Während Mandra in die Vampirfratze starrte, die ihm gegenüber in der Wand abgemalt war, beschäftigten sich seine Gedanken mit der nahen Zukunft. Er wußte, daß die Zeit des Fratzengesichts angebrochen war, daß dieser Dämon etwas unternehmen mußte, wollte er zu seinem Ziel gelangen. Mandra war sich nur nicht darüber klar, wie das Ziel aussah.
Verzweifelt dachte er darüber nach und auch über die Informationen, die ihm zur Verfügung standen.
Viele waren es nicht gewesen. Und eigentlich hatte der Fall für ihn ganz harmlos begonnen…
***
Nach den Worten unserer Kollegin schwiegen wir. Es war schwer, jetzt das Richtige zu sagen. Im nachhinein konnte ein jeder von uns ihre Reaktion verstehen. Sie hatte ihren Bruder verloren. Er ging also auf das Konto des Fratzengesichts und dessen Diener. Nur verstand ich nicht, weshalb sie unsere Nachforschungen hatte abblocken wollen? Oder hatte sie vor, selbst auf Rachetour zu gehen?
Das konnte natürlich möglich sein, obwohl ich es als Unsinn betrachtete, so etwas zu unternehmen.
Susan Perth selbst unterbrach das Schweigen. »Ich ahne, mit welchen Kombinationen Sie sich beschäftigen, John Sinclair.«
»So? Womit denn?«
»Eine Frau sieht rot!«
»Bravo«,
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