0322 - Das Fratzengesicht
erwiderte ich. »Sie haben es fast auf den Punkt getroffen, meine Liebe.«
»Nur ist es nicht so, wie Sie angenommen haben, Kollege.«
»Weshalb haben Sie sich dann gegen einen Einsatz so hart engagiert?« fragte Suko.
»Weil ich nicht will, daß Ihnen das gleiche passiert wie meinem Bruder Harold. Es braucht nicht noch mehr Staub aufgewirbelt zu werden. Das Problem der Geheimbünde bekommen wir in den Griff. Danach erledigt sich das Fratzengesicht von ganz allein.«
Sie hatte die Worte ziemlich hart hervorgestoßen. Man merkte ihr an, mit welch starken Emotionen sie zu kämpfen hatte, doch sie sah auch mein Kopfschütteln.
»Ich glaube Ihnen nicht, Miß Perth.«
Ihre Augen blitzten, als sie mich anfuhr. »Wieso nicht?«
In aller Ruhe gab ich die Antwort. »Sie bekommen das Problem allein nicht in den Griff. Da können Sie reden, was Sie wollen. Das Fratzengesicht und dessen Umfeld ist, so leid es mir tut, dies sagen zu müssen, eine Nummer zu groß für Sie.«
»Werden Sie nur nicht unverschämt.«
Shao mischte sich ein. »Miß Perth, bitte, beruhigen Sie sich! Wir verstehen, was Sie durchgemacht haben, aber das ist kein Grund, sich so aufzuregen.«
»Ich will mich aber aufregen. Weil ich es irre und idiotisch finde, wenn Sie so etwas sagen.«
»Ist es nicht die Wahrheit?« fragte Suko leise.
Susan Perths Gesicht glich einer Maske. »Vielleicht«, gab sie zu.
»Vielleicht ist es die Wahrheit. Aber Sie als Fremde werden hier keinen Fußbreit Boden gewinnen.«
»Möglich«, gab Suko zu. »Nur vergessen Sie nicht, daß meine Begleiterin aus Hongkong stammt.«
»Und auf der anderen Seite stand«, warf Susan ein.
»Das ist vorbei. Shao hat mehrmals bewiesen, zu wem sie hält und auf welcher Seite sie steht. Ich finde, daß wir nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten sollten.«
Schnaufend entwich ihr Atem durch die Nase. Wir ließen ihr Zeit für eine Antwort. Ein wenig kompromißbereiter sagte sie schließlich:
»Haben Sie sich irgendwelche Vorstellung von dem gemacht, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte?«
»Bis jetzt noch nicht«, gab Suko ehrlich zu.
»Aber ich.«
Sie schaute mich an. »Da bin ich sehr gespannt.«
»Es liegt doch auf der Hand, Miß Perth. Sie haben sich aus beruflichen Gründen mit dem Fall des Fratzengesichts beschäftigt. Sicherlich werden Sie auch Spuren aufgenommen haben und besitzen eventuell Hinweise, die uns weiterhelfen könnten.«
»Was verlangen Sie?«
»Daß Sie kooperieren.«
Susan Perth lachte. »Sie wollen, daß ich Ihnen Informationen gebe, nicht wahr?«
»Das gehört dazu.«
Sehr lange und nachdenklich schaute sie mich an. Dann zuckte ein Lächeln über ihre Lippen. »Sie kennen den Job, John Sinclair. Sie haben auch recht. Nach dem Tode meines Bruders habe ich tatsächlich Spuren aufnehmen können. Es hat zwar lange gedauert, doch mir gelang es, den Ring des Schweigens zu unterbrechen.«
»Und wo führten die Spuren hin?«
»Lassen Sie sich überraschen.«
»Miß Perth.« Jetzt redete Suko. »Stellen Sie sich bitte nicht so stur an. Wir müssen zusammenhalten, wenn wir den Fall aufklären wollen. Das wissen Sie so gut wie ich…«
»Ja, ja«, unterbrach sie meinen Partner. »Ich werde Sie in das Gebiet führen.«
»Ist es hier in Hongkong?«
»Natürlich.«
»Und wo?«
Da lächelte sie sphinxhaft. »Lassen Sie sich überraschen. Wenn Sie allerdings glauben, diese Stadt zu kennen, so irren Sie sich. Es gibt Orte, von denen Sie nicht einmal im Traum gedacht haben, daß sie existieren. Und bringen Sie gute Nerven mit.«
»Die haben wir uns im Laufe der Jahre zugelegt.«
Susan stand auf. Sie zog ihre Uniformjacke glatt. »Dann kann die Vorstellung ja beginnen.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Shao.
Susan lachte. »Haben Sie schon mal etwas von einem Vampir-Theater gehört?«
»Nein.«
»Sie werden es wahrscheinlich kennenlernen. Falls man Sie nicht zuvor umgebracht hat.« Sie fuhr fort, bevor wir unsere Überraschung hatten überwinden können. »Da ist noch etwas, das Sie wissen sollten. Ich werde meine Uniform ausziehen. Nicht freiwillig. Man hat mich suspendiert. Wahrscheinlich war ich meinen Kollegen ein wenig zu forsch, doch meine Beziehungen zur Polizei bleiben bestehen. Das nur, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.«
Das war wirklich ein Hammer. Alle Achtung. Diese Frau barg mehr Überraschungen als eine Rätselkiste. Ich war gespannt, mit welchen sie noch aufwarten würde…
***
Einige Tage vor Mandras
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