0322 - Das Fratzengesicht
ich Shao: »Wo fahren wir denn hin?«
»In das Künstler-, Verbrecher-, Rauschgift- oder Opiumviertel. Du kannst es dir aussuchen.«
»Toll.«
»Da kenne ich mich noch aus«, meinte Suko.
»Es wird sich dennoch viel verändert haben«, sagte Shao. »Vergiß nie, daß noch immer Menschen in die Stadt strömen. Und die wollen irgendwo leben.«
»Was sie kaum können«, sagte ich.
Shao und Suko gaben mir recht. »Aber irgendwie schaffen sie es«, meinte die Chinesin. »Außerdem hat jeder Ankömmling irgendeinen Verwandten in Hongkong.«
Den Bereich der Geschäftsstraßen hatten wir sehr bald verlassen und bewegten uns durch eine Gegend, die von der Vergnügungsindustrie gezeichnet war.
Ich habe noch nie so viele Salons, Bars, Porno-Shops und Bordells auf so engem Raum zusammengedrängt gesehen. Auch der Betrieb war unwahrscheinlich. Was sich da an Menschen drängte und voranschob, konnte man kaum zählen.
Im Verkehr wäre ich bestimmt steckengeblieben. Unser Fahrer fand immer eine Lücke. Er arbeitete mit den Pedalen und der Hupe wie ein Weltmeister.
Daß er einmal mit dem rechten Kotflügel einen Gemüsekarren streifte, bemerkte er nicht.
Auch tagsüber brannten die Leuchtreklamen. Nur wirkte ihr buntes Licht blaß und gespenstisch.
Gebaut wurde ebenfalls in Hongkong. Meistens Hochhäuser, oder man stockte auf. Die Arbeiter waren schon Artisten zu nennen, wie sie in schwindelnder Höhe ihren Job verrichteten.
Ich war beeindruckt.
Als wir einen Platz erreichten, von dem mehrere Straßen abzweigten, ließ Susan den Fahrer anhalten. Sie diskutierte kurz über den Preis und zahlte eine gewisse Summe, die den Driver mit den Zähnen knirschen ließ. Wir standen schon draußen.
Es roch nach Hafen, altem Wasser, auch nach Fisch. Kein Geruch für empfindliche Nasen. Manchmal mischte sich sogar der Duft eines schweren süßen Parfüms mit hinein.
Das Taxi war verschwunden. Ein wenig verloren kamen wir uns innerhalb der Menschenmenge vor. Wir sahen zahlreiche Rassen und Nationen vertreten: Europäer, Asiaten, Afrikaner. Hongkong ist eben international. Grell geschminkte Mädchen standen in provozierenden Haltungen an den Hauswänden. Oftmals waren sie blutjung, halbe Kinder noch.
Ich preßte die Lippen zusammen, als ich das sah. Auch Shao hatte es bemerkt. »Es ist leider noch so wie früher«, sagte sie und hob die Schultern, als wollte sie sich dafür entschuldigen.
Susan Perth hatte sich umgeschaut. Anscheinend war sie sich nicht sicher. Dann zeigte sie auf einen schmalen Gasseneinschnitt. »Da müssen wir hin.«
Ich hielt sie an der Schulter fest. »Bleibt es bei dem Vampir-Theater?«
»Das sagte ich Ihnen doch.«
»Und das Fratzengesicht?«
Sie lachte kehlig. »Schauen Sie sich um, Mr. Sinclair. Die Menschen, die Sie hier sehen, können allesamt Diener des Fratzengesichts sein. Ob Mann oder Frau, das spielt keine Rolle.«
»Spielen wir eigentlich den Lockvogel?«
»So ungefähr.«
»Und woher wissen Sie von diesem Vampir-Theater?«
»Mein Bruder gab mir die Information. Er war dem Dämon auf der Spur.«
»Wem gehört das Theater?«
Sie hob die Schultern. »Es ist schwer, einen Besitzer zu finden. Man spricht davon, daß es einem Mann gehört, der sein Geld mit Eastern, diesen Karatefilmen, gemacht hat. Es steht auch auf dessen Grund und Boden. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Sie plötzlich Kameras sehen und man sie aus dem Weg scheucht. In Hongkong wird jeden Tag immer irgendwo gedreht. Da der Platz begrenzt ist, bleibt es nicht aus, daß man darüber stolpert. Aber das können Sie noch alles selbst erleben.« Nachdem Susan die Worte gesprochen hatte, ging sie los, ohne sich um uns zu kümmern.
Wir hatten Shao in die Mitte genommen und sprachen mit ihr über das Vampir-Theater.
»Gab es diese Filmstadt auch schon zu deiner Zeit?«
»Nein, die muß neu sein.«
Ja, sie war neu, wie uns Susan später bestätigte. Der Weg führte uns in Richtung Wasser. Ein penetranter Fischgeruch raubte mir zeitweilig den Atem. Diesen Gestank sonderten die Garküchen ab, die überall auf den Gehsteigen oder Straßenrändern standen.
Oft gehörten diese Küchen zu winzigen Restaurants, die es in den mit Reklamesprüchen übersäten Hausfassaden gab.
Bis zum Wasser oder zum Hafen gingen wir nicht. Zuvor bogen wir in eine Gasse ein, die noch schmaler war. Am Ende der Gasse sah ich einen golden schimmernden Torbogen.
»Er markiert den Eingang zu unserem Ziel«, erklärte mir unsere Begleiterin.
Uns sollte
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