0323 - Ich jagte das »Blaue Gesicht«
schloß sich die Tür.
Von den Passanten, es waren nur wenige, die sich auf der Marshai Street befanden — schien keiner den Vorgang bemerkt zu haben. Ich ahnte, was jetzt kommen mußte. Fletcher fühlte sich in Lindas Haus nicht mehr sicher. Er würde jetzt versuchen, Morgan zu Hilfeleistungen zu zwingen. Als Druckmittel hatte er das Mädchen, und sicherlich rechnete er sich eine nicht geringe Chance aus.
Langsam' kroch die Zeit dahin. Ich steckte mir eine zweite Zigarette an und blickte wieder zum Haus hinüber. Hinter den Fenstern war noch immer kein Licht. Am jenseitigen Ufer des East River — Linda Evolas Haus fast genau gegenüber — sah ich die sechs kurzen breiten Piers, von denen zwei — wie ich Wußte — der New York City gehörten. Die Wolkenkratzer Manhattans stachen wie lichterfüllte Wabenkästen in den nachtblauen Himmel. Ein Helicopter mit aufblinkendem Rotlicht zog seine Bahn in Richtung Williamsburg Bridge.
Plötzlich tauchten zwei Cops vor mir auf. Es waren große breitschultrige Patrolmen mit fleischigen Gesichtern, leicht abstehenden Ohren und kurzen stumpfen Nasen. Die beiden Cops sahen sich so ähnlich wie zwei Eier von derselben Henne. Und ich brauchte meinen Verstand nicht auf Hochtouren laufen zu lassen, um festzustellen, daß ich Zwillinge vor mir hatte. Der eine — er hatte seine Mütze um eine Daumenbreite tiefer in die Stirn gezogen als der andere — baute sich vor mir auf, blickte mir streng ins Gesicht und schnarrte: »Zeigen Sie mir Ihren Ausweis, Mister!«
Ich war erstaunt. Wenn eine Polizeistreife x-beliebige Leute überprüft, die zufällig im Dunkeln an einer Ecke stehen und rauchen, so mußte in dieser Gegend etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein.
Ich zog langsam meine Brieftasche. »Warum wollen Sie denn meinen Ausweis sehen?«
»Das ist unsere Sache. Na, wird es bald?«
Ich zückte meinen FBI-Ausweis. »Kennen Sie das?«
Es war schon zu dunkel, als daß er die Legitimation hätte erkennen können. Er zog die Taschenlampe hervor und ließ sie aufblinken. Dann gab er mir sofort meinen Ausweis zurück. »Entschuldigen Sie, Sir. Aber ich konnte nicht wissen, daß Sie G-man sind. Sind Sie auch in der Sache eingesetzt?«
»Welche Sache meinen Sie?«
»Den Fall Stanley.«
Ich schüttelte den Kopf. »Deswegen bin ich nicht hier. Was ist denn das für ein Fall?«
»Seit fünf Tagen wird der Sergeant Hyram Stanley vom 18. Revier vermißt. Vor zwei Stunden fand man ihn, unten am Pier. Er wurde angeschwemmt.«
»Mord?«
»Ja, unser Kollege wurde erstochen.«
»Und was vermutet man?«
»Es ist anzunehmen, daß Stanley hier in der Gegend umgebracht wurde, als er im Dienst war. Seine Waffe fehlt übrigens. Den Gürtel mit der Tasche trug er noch. Aber seine Pistole und die Reservemagazine sind verschwunden.«
»Ist es schwer, zu dieser Waffe einen Schalldämpfer zu basteln?«
»Ich glaube nicht, Sir.«
»Wissen Sie, wie die Stichwunde aussah?«
»Nein, Sir.«
Ich überlegte, ob ich den beiden Beamten meinen Verdacht mitteilen sollte. Dann entschloß ich mich, es nicht zu tun. Wenn sie erfuhren, daß sich Fletcher in der Nähe befand, bestand die Gefahr, daß sie sich irgendwie auffällig benehmen und damit Fletcher in Panik versetzen und damit Linda Evolas Leben bedrohen würden.
»Wenn ich irgend etwas Verdächtiges bemerke, werde ich es Ihrer Mordkommission mitteilen.«
Die beiden nickten, tippten an die Schilder ihrer Mützen und gingen weiter. Sie bogen in die Marshai Street ein, blieben aber auf meiner Seite und warfen keinen Blick zu dem kleinen Haus hinüber. Als sich dort die Haustür öffnete, waren sie bereits nicht mehr zu sehen. Phillip Morgan trat ins Freie. Langsam kam er über die Straße. Er ging gebeugt. Er wirkte müde. Er bemerkte das Auto nicht, dem er hätte ausweichen müssen. Der Fahrer bremste im letzten Augenblick. Die Profile radierten den Asphalt, Bremsen kreischten. Erst jetzt machte Morgan einen entsetzten Sprung nach vorn.
Der Fahrer des Wagens steckte den Kopf zum Fenster hinaus und schimpfte wie ein Rohrspatz. Dann fuhr er weiter.
Ich blieb hinter der Hausecke und wartete, bis Morgan neben mir war. »Haben Sie eine Zigarette?« fragte er. Ich gab ihm eine und ließ'dann mein Feuerzeug auf flammen. »Sie haben sicherlich gesehen, Mr. Cotton, daß er mich an der Jacke packte und blitzschnell ins Haus zerrte. Ich war so verdutzt, daß ich nicht einmal zu einer Gegenwehr fähig war. Ich hatte nicht erwartet, daß er mir öffnen
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