0327 - Wer die Blutfrau lockt
die Welt des Inspektor George Scandler. Hier fühlte sich der eiserne Junggeselle, der mit seinem Beruf verheiratet war, richtig wohl. Sein kleines Appartement jenseits der Themse war so kahl und leer. Hier im Gebäude des Yard war immer etwas los. Hier waren nicht nur Menschen, die er kannte - hier wurde er auch gebraucht.
Daß Inspektor Scandler manchmal nur nach Hause ging, um die Wäsche zu wechseln, nahmen die Vorgesetzten mit lobenden Worten und die Kollegen mit bissigen Bemerkungen hin. Irgendwann hatten sie ihm bei einer Betriebsfeier ein Feldbett geschenkt, und nur Inspektor Scandler hatte die boshafte Ironie hinter dem Geschenk nicht erkannt. Es gehörte jetzt zum festen Inventar seines Büros und wurde oft genug benutzt. Vor allem in den letzten Tagen und Wochen, als eine Welle seltsamer Fälle von spurlos verschwundenen Personen die Stadt in Erschrecken versetzten. Die Bilder an den Wänden von Scandlers Büro zeigten die Brustbilder der Vermißten, und darunter hatte der Inspektor sich die wichtigsten Dinge geschrieben, die von den Leuten zu erfahren waren, von denen die Anzeigen erstattet wurden.
Es waren Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Die meisten von ihnen sahen sehr gut aus und ihr Verschwinden konnte alle möglichen Gründe haben. Aber mit jedem Tag kam ein Fall dazu, ohne daß es gelungen wäre, einen anderen Fall aufzuklären. Alle Spuren verliefen im Nichts.
Scandler kam eben zurück aus dem Büro seines Chefs, der seinen mageren Bericht mit eisiger Miene entgegen genommen hatte. Kein Vorwurf war über die schmalen Lippen des hohen Beamten gekommen. Er wußte genau, daß Scandler rund um die Uhr arbeitete und Ermittlungen anstellte. Brown und Smith, seine beiden Assistenten, schlichen mit bleichen Gesichtern wie wandelnde Leichen durch die Gänge des Yard, und Scandler war anzusehen, daß er sich in den Nächten höchstens eine bis zwei Stunden Schlaf gönnte.
»Eins haben alle Fälle fast gemeinsam!« hatte Scandler seinem Vorgesetzten berichten können. »Die Vermißten sind entweder in Pubs, Discotheken oder sonstigen Treffpunkten der jüngeren Generation gesehen worden. Danach verliert sich ständig jede Spur!«
Müde schlurfte George Scandler zu seinem Office zurück. Brown war da und schob ihm ein neues Bild mit einem ausgefüllten Anzeigenformular zu.
»Wieder ein neuer Kunde, Inspektor!« sagte der Detektiv. »Ein gewisser Michael Prince. Seit drei Tagen nicht aufgetaucht. Die Nachbarin hat den Fall gemeldet, weil auf das Verschwinden der vielen Männer dieses Alters schon die Presse aufmerksam geworden ist!«
»Wenn es hübsche Frauen wären, würde ich an Mädchenhandel denken!« kombinierte Brown und drückte eine Zigarette in den übervollen Aschenbecher. Scandler zündete sich eine Pfeife an, von denen er immer drei gestopfte Exemplare in der Schublade seines Schreibtisches aufbewahrte. Angeblich war ja sogar Sherlok Holmes beim Rauchen der Pfeife die besten und scharfsinnigsten Kombinationen gekommen.
»Ihre Witze waren schon mal besser!« knurrte Scandler unfreundlich. »Versuchen Sie es mal mit neuen Ideen. Aber kommen Sie mir nicht mit der Fremdenlegion oder irgendwelchen Söldnertrupps, die zusammengestellt werden. Die Idee hatte ich selber schon und die Jungs vom Secret-Service haben schon geschnüffelt. Negatives Ergebnis. Wo war dieser Michael Prince zuletzt?«
»Die Nachbarin gab an, daß er vielleicht in seine Stammdiscothek gegangen sei. Das Flashpoint. Soll ein ziemlicher Frauenaufreißer gewesen sein!« gab Brown zurück.
»So sieht der Knabe auch aus!« meinte Scandler. »Versuchen wir unser Glück mal in dem Preßluftschuppen. Am besten jetzt, solange sie den Tango-Diesel noch nicht angeworfen haben und die Lautsprecher mit dieser Krawallmusik voll aufreißen!«
»Das ist nun mal so hier im Swinging London!« bemerkte Brown mit säuerlichem Grinsen. Er war einige Jahre jünger als Scandler und mochte Pop-Musik. Für seinen Vorgesetzten gab es jedoch nichts Höheres, als den Klängen eines Dudelsacks zu lauschen.
Sie verließen das Office, stiegen in den Dienstwagen und fuhren über die London-Bridge zum jenseitigen Themseufer. Die Disco war schnell gefunden. Als George Scandler und sein Assistent eintrafen, drang ihnen gedämpfte Tanzmusik entgegen. Es war noch früh am Abend und die Gäste wollten sich unterhalten. Scandler schob sich an die Theke und winkte den Keeper.
»Was zu trinken, Mister?« fragte der Mann hinter der Bar in
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