033 - Das vertauschte Gehirn
und die Zuschauer im Gerichtssaal.
Darum schweige ich und folge stumm meinem eigenen Körper.
Wir sitzen in meinem früheren Wagen, den nun mein angeblicher Zwillingsbruder fährt. Ich erkenne den Weg schon nach kurzer Fahrt. Er bringt mich zum Doc. Dorthin, wo ich schon so viel Schreckliches erlebt habe. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin öffnet sich das breite Tor an der Auffahrt zur Villa. Die Flügel schwingen zurück, wir fahren weiter und halten vor der Treppe des unheimlichen Hauses.
Seltsamerweise fürchte ich mich dieses Mal nicht. Vielleicht liegt es daran, daß jemand bei mir ist, oder daß ich weiß, daß der Doc mich erwartet.
„Wir müssen uns darüber einigen, wie wir uns anreden“, sage ich, während mein früheres Ich auf den Klingelknopf drückt. „Entweder benutzen wir die Namen, die unser Gehirn als eigene Namen anerkennt, oder die unserer körperlichen Hüllen. Soll ich also Mike oder John zu dir sagen?“
Er blickt mich an, lächelt.
„Ich bin so häßlich, das ich wenigstens meinen alten Namen behalten möchte. Nenn mich also Mike. Du bist John.“
Das ist mir nur recht, denn alles in mir wehrt sich dagegen, seinen Namen zu tragen. Es summt, dann öffnet sich die Tür. Mike Holbers geht vor mir her durch den Flur, in den ich zum ersten mal das leise Lachen des kleinen Mädchens gehört hatte. Dann stehen wir im Büro des Doc.
Er sitzt wie in alten Tagen hinter seinem mächtigen Schreibtisch, versteckt seinen Klumpfuß vor uns und lächelt uns freundlich entgegen.
„Hallo, John!“ Ich glaube, seine Stimme klingt ein wenig spöttisch. „Du bist also gekommen. Schön, dich wiederzusehen.“
Ich bin da zwar anderer Meinung, aber ich zeige ihm meine Gefühle nicht. Er mustert mich eindringlich, und sein Lächeln verschwindet so rasch, wie es gekommen ist.
„Deine Gedanken haben sich heute selbständig gemacht“, sagt er ein wenig unwillig. „Du wolltest mich umbringen und hast es bis zu meinem Bett geschafft. Wäre ich nicht rechtzeitig aufgewacht …“
„Dann wären Sie jetzt tot“, vollendete ich den Satz. „Ich habe immer noch vor, Sie zu töten, Doc. Und wenn Sie mir mit meinem eigenen Tod nicht zuvorkommen, wird es mir eines Tages auch gelingen.“
„Sie sind das Ergebnis eines schlechten Experiments“, sagt er gelassen. „Aber ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Jeder fängt schließlich mal klein an. Sehen Sie nur Mike Holbers. Er tut alles, was ich ihm befehle. Keine Auflehnung, kein Hass gegen mich.
Sie sehen, Morgan, ich bin wieder ein Stückchen weiter gekommen. Wollen Sie Platz nehmen?“
„Nein, ich bleibe stehen.“
Ich will stehen bleiben. Ich sehe, wie sich der Doc konzentriert, wie meine Knie weich werden. Ich spüre, daß die Kraft aus meinen Muskeln weicht, und fühlte mich schwach wie ein Greis. Er will mich auf den Stuhl zwingen. Meine Knie beugen sich. Hoch! brüllt eine Stimme in mir. Du schaffst es. Du bist kein willenloses Bündel Mensch wie dieser Holbers.
Langsam kehrt meine Kraft zurück. Der Doc sinkt schlaff gegen die Lehne seines Sessels und blickt mich ausdruckslos an. „Schön“, meinte er. „Dann bleiben Sie eben stehen, Morgan. Aber Sie sollen wissen, das es Dinge gibt, die Sie ohne meinen Willen nie ausführen können.“
„Wenn Sie schlafen“, sagte ich langsam, „sind Sie ohne Macht über mich. Und dann werde ich Sie eines Tages umbringen, Doc.“
Er lacht.
„Eine solche Situation wird sich nicht mehr wiederholen. Ich sagte ja bereits, daß ich dazugelernt habe. Mein Schlaf wird ab nun bestens bewacht sein. Wollen Sie meinen Wachhund einmal kennenlernen, John?“ Er wartet meine Antwort nicht ab. Laut dringt seine Stimme durch das Haus: „Peter, komm doch mal ins Büro!“
Es geht alles ganz schnell und lautlos vor sich. Ich spüre nur unheimliche Kälte rechts neben mir, und ein Geruch steigt mir in die Nase, ähnlich wie der, den ich unten in der Gruft schon einmal wahrgenommen habe. Etwas Entsetzliches, Weiches klatscht mir ins Gesicht. Von Grauen geschüttelt, reiße ich die Hände nach oben. Dann spüre ich einen stechenden Schmerz in der Brust, und auf meinem Hemd wird ein Blutfleck sichtbar. Dann ist es still und ruhig. Nur die Kälte ist noch da und dieser widerliche Geruch.
„Was war das?“ höre ich mich flüstern. „Mein Gott, ich habe niemanden gesehen.“
„Sie kennen ihn bestimmt aus einigen Büchern, John.“ Der Doc grinst, und auch Mike Holbers scheint sich prächtig zu amüsieren.
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