033 - In den Krallen der Tigerfrauen
zu gehen, denn wenn er ihnen bei einer krummen Tour auf die Schliche kam, holte er sie zu sich ins Pfarrhaus, und dann gab es Blitz und Donnerwetter.
So manch einer hatte das Pfarrhaus schon ohne Veilchen betreten, war aber mit einem blauen Auge herausgekommen.
Doch niemand nahm dem Pater seine Strenge übel, schließlich meinte er es mit allen Gläubigen nur gut.
Obwohl es nicht immer leicht war, sie auf den rechten Weg zu bringen, liebte er seine Gemeinde und war für jeden einzelnen jederzeit da, ob bei Tag oder bei Nacht — wenn man Pater Severin brauchte, war er zur Stelle.
Er saß allein an einem großen Tisch, las die Tageszeitung und mißbilligte brummend so manches von dem, was berichtet wurde. Um die deprimierenden Neuigkeiten besser verkraften zu können, trank Pater Severin würzigen Meßwein.
Er ließ sich stets ein paar Flaschen mehr liefern, um auch privat davon genießen zu können. Es gab einen Mann in der Gemeinde, der sich von Pater Severin immer wieder gern ins Gewissen reden ließ, weil er wußte, daß er anschließend — zur Läuterung — von dem köstlichen Wein trinken durfte.
»Katastrophen«, murmelte der Priester und schüttelte unwillig den Kopf. »Die ganze Zeitung ist voll davon. Politische Anschläge, Militärputsche, Hinrichtungen, Terror… Herr, in was für einer Zeit muß ich leben? Warum bringst du die Menschen, die du nach deinem Ebenbild geschaffen hast, nicht zur Räson? Wenn ich du wäre…« Er schob sich mit grimmiger Miene die Ärmel hoch und ballte die Hände zu Fäusten. »Ich würde die ganze Bande… Naja, du kennst mich. Ich bin ein Heißsporn. Ich würde an deiner Stelle nie soviel Geduld aufbringen, sondern mal so richtig dazwischenfahren, allen, die nicht hören wollen, die Ohren langziehen, damit sie wieder zur Vernunft kommen…«
Er blickte zu dem Kruzifix, das an der Wand hing. Sehr oft sprach er mit Gott. Es störte ihn nicht, daß dieser ihm keine Antwort gab. Wenn ihm nach einem »Zwiegespräch« war, lieferte sich Pater Severin die Antworten gleich mit.
»Manchmal, Herr«, sagte er, und er setzte ein um Verzeihung heischendes Lächeln auf. »Bitte entschuldige, daß ich das zu sagen wage… Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt interessiert dich nicht mehr so wie früher. Bist du ihrer überdrüssig geworden? Überläßt du die Menschen ihrem Schicksal? Das wäre ein Verhängnis, Herr. Wir brauchen dich, heute vielleicht mehr denn je. Wenn du uns nicht mit starker Hand lenkst, könnte das zum Untergang der Menschheit führen…«
Er nahm einen Schluck vom Wein, stellte das Glas aber danach nicht wieder an seinen Platz, sondern behielt es in der Hand und erhob sich.
»Der Mensch besitzt Waffen, mit denen er die Erde vielfach vernichten könnte, Herr. Ich bitte dich, paß auf die Leute auf, die sich in der Nähe der Auslöseknöpfe befinden. Die Welt ist immer noch zu schön, um zerstört zu werden. Ich denke, in diesem Punkt bist du meiner Meinung.«
Pater Severin leerte sein Glas, faltete ordnungsliebend die Zeitung zusammen und erhob sich. Er blickte zum Fenster hinaus. Ein weißer Peugeot 504 TI rollte soeben vor dem Pfarrhaus aus.
Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht des Paters. Er öffnete einen kleinen Schrank aus altem Eichenholz und entnahm ihm eine Schachtel mit Silberkugeln, die er kürzlich erst geweiht hatte…
***
Ich klopfte an die alte Tür mit den dicken Eisenbeschlägen.
»Immer herein, mein Sohn!« rief drinnen Pater Severin.
Ich betrat den Raum. Pater Severin kam mir an diesem Tag noch größer und breitschultriger vor. Mit schweren Schritten kam er auf mich zu, und er behauptete, es wäre für ihn immer eine Freude, mich zu sehen.
»Wie ist das werte Befinden?« erkundigte ich mich.
Der Priester lächelte. »Es ist ein bißchen ruhig.«
»Gefällt Ihnen das nicht?«
»Ich bin kein alter Mann. Ich habe es ganz gern, wenn es ein wenig rund geht.«
»Also, ich weiß nicht, Pater Severin, hin und wieder glaube ich, Sie haben den Beruf verfehlt.«
Er schüttelte den Kopf. »Da kennst du mich aber schlecht. Ich bin mit Leib und Seele Priester. Ich diene dem Herrn sehr gern. Für mich ist das Priesteramt kein Beruf, sondern eine Berufung. Was ist schon dabei, wenn ich es begrüße, wenn's um mich herum lebhaft zugeht? Ich gebe zu, es ist eine Freude für mich, wenn ich mich mal so richtig austoben kann. Ich bin voller Vitalität und Spannkraft, mein Sohn. Das muß hin und wieder raus.«
»Sind meine
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