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033

033

Titel: 033 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In seidenen Fesseln
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ließ er sich nicht davon abbringen.
    „Ich werde dich vermissen, mein Sohn", sagte er mit halberstickter Stimme.
    „Auch du wirst mir fehlen", erwiderte Clay, schaute auf und sah den tränenumflorten Blick des Vaters auf sich gerichtet.
    „Bist du sicher, dass du das Richtige tust?"
    „Ja", antwortete Clay, seine Entschlossenheit bestätigend, Windown zu verlassen. Er wusste, der Vater wollte ihn bei sich haben, doch er musste fort. „Wer weiß, was ich im Westen vorfinde? Vielleicht bleibe ich in Kalifornien und versuche mein Glück als Goldgräber. Möglicherweise erwerbe ich mir ein Vermögen." Clay verdrängte den Gedanken. Reichtum war das Letzte, was ihn jetzt beschäftigte. Er hatte erkannt, dass Glück nicht durch viel Geld zu erreichen war. Alles, wonach er sich sehnte, war innerer Frieden.
    „Du kommst zurück?" Philip musste die Gewissheit haben, dass der Sohn eines Tages wieder bei ihm sein werde. Ohne diese Hoffnung, an die er sich klammern konnte, schien ihm sein Leben vollkommen bedeutungslos zu sein.
    „Ja", versprach Clay.
    „Windown ist dein Zuhause, vergiss das nicht, ganz gleich, wo du bist und was du tust."
    „Ich werde es nicht vergessen."
    Es war ein bewegender Augenblick, als Clay und der Vater sich in die Augen sahen.
    Philip wusste, der Sohn war jetzt erwachsen. Dennoch konnte er sich nicht enthalten, ihn in die Arme zu schließen und fest an sich zu drücken. Auch Clay drückte ihn herzlich an sich und spürte in diesem herzergreifenden Moment all die Liebe und Zuneigung des Vaters. Als sie sich voneinander lösten, waren sie nicht verlegen, sondern ehrlich ergriffen.
    Clay nahm seine Sachen an sich, verließ mit dem Vater den Raum und ging schweigend mit ihm vor die Haustür.
    „Du wirst vorsichtig sein und gut auf dich aufpassen, nicht wahr?" fragte Philip beim Betreten der breiten Veranda.
    „Ja, und gib auch du gut auf dich Acht", erwiderte Clay. Ein letztes Mal schüttelte man sich die Hände. Nach einem letzten Blick auf das Haus stieg Clay die Stufen hinunter und schwang sich auf den Rappen. Er trat ihm in die Flanken und ritt als ein einsamer Mann die Allee hinunter.
    Philip schaute ihm hinterher, das Herz erfüllt von bit-terem Groll auf die Gattin, die an all diesem Elend schuld war.
    „Evaline!" äußerte er abfällig. Es hatte wie eine Verwünschung geklungen. Seit jenem schicksalsträchtigen Tag vor sechs Jahren hatte er sie verachtet. Sie war so eigensüchtig, boshaft und zerstörerisch. Das Bedauerliche war, dass sie, wie er wusste, keine Ahnung davon hatte, welches Herzeleid sie dem Sohn verursachte. Sie war vollkommen gewissenlos.
    In den vergangenen sechs Jahren hatte Philip sich wiederholt versucht gefühlt, dem Sohn die Wahrheit über die Mutter zu erzählen, es indes jedes Mal unterlassen. Clay hatte die Mutter mit tiefer kindlicher Hingabe geliebt, und Philip ihm nicht den letzten Rest gutgläubigen Vertrauens nehmen wollen. Er fragte sich, während Clay außer Sicht geriet, ob der Versuch, ihn zu beschützen, falsch gewesen war. Jäh empfand er Gewissensbisse, weil er geschwiegen hatte, verdrängte sie jedoch. Der Sohn hatte selbst die Wahrheit über die Mutter herausfinden müssen. Nun, da er ihren Charakter kannte, würden weder Clay noch er selbst je wieder von ihr verletzt werden können.
    In die Verbitterung mischte sich berechtigter Zorn. Philip kehrte ins Haus zurück und wusste, es war Zeit zum Handeln. Es gab keinen Grund mehr, der Gattin zu erlauben, den Namen der Cordells in den Schmutz zu treten. Philip beschloss, an seinen in New Orleans wohnenden Anwalt zu schreiben und ihm aufzutragen, unverzüglich die Scheidung in die Wege zu leiten. Da der Sohn die Wahrheit über die Mutter kannte, war es nicht mehr von Bedeutung, den Schein zu wahren. Philip musste nicht mehr so tun, als bestünde noch die Hoffnung, Evaline könne zurückkehren. Er wollte das noch bestehende letzte Band zwischen sich und ihr so schnell wie möglich durchtrennt wissen. Er setzte sich an den Schreibtisch, begann den Brief an den Anwalt und fühlte sich so unbeschwert wie seit Jahren nicht. Instinktiv wusste er, dass er das Richtige tat.

2. Kapitel
    Monterey, Kalifornien, 1858
    Mit zitternden Händen zupfte Reina Isabel Alvarez den Rock des langärmeligen, hochgeschlossenen weißen Gewandes glatt, das sie soeben angezogen hatte.
    „Hier, zieh das darüber", sagte ihre Freundin Maria, eine hübsche, zierliche, dunkelhaarige junge Frau, und hielt ihr ernst den bodenlangen

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