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Überwurf hin, der über dem lose fallenden Gewand getragen wurde.
Reina gehorchte, zog sich das ungewöhnliche Kleidungsstück über den Kopf und kam sich, als sie es trug, wie von einer Plane umhüllt vor.
„Hier, Reina. Das ist sehr wichtig."
Sie griff nach dem gestärkten, hüftlangen schwarzen Schleier, den Maria ihr hinhielt, und wollte ihn soeben anlegen, als ihr Blick auf ihre hastig abgestreiften Kleidungsstücke fiel, die auf dem in der Nähe stehenden kleinen Bett lagen. Sie zögerte, starrte das elegante smaragdgrüne Reitkleid und die gerüschten Unterröcke an und verzog bedauernd das Gesicht. Sie liebte schöne Sachen, und daher tat ihr der Gedanke weh, dass sie so etwas nicht mehr tragen konnte. Dann dachte sie jedoch an ihr Vorhaben und verhärtete die Miene. Mit der vom Vater geerbten Willenskraft legte sie den Schleier an und verbarg darunter das lange schwarze Haar.
Nachdem sie das getan hatte, wandte sie sich der Freundin zu, die schweigend von der anderen Seite des winzigen, spartanisch eingerichteten Raums her die Verwandlung beobachtet hatte.
„Nun, Maria, was denkst du?" fragte sie nervös und sehr darauf bedacht, die Stimme gesenkt zu halten. Nur Maria wusste, dass sie im Kloster war. Es war sehr wichtig, nicht von jemand anderem entdeckt zu werden.
Maria, ihre Freundin aus Kindertagen, starrte sie staunend an. „Sieh selbst!"
flüsterte sie und wies auf den kleinen, über dem Waschtisch angebrachten Spiegel.
Reina schluckte und wandte sich ihm zu. Die Täuschung musste gelingen! Das war unbedingt erforderlich. Reina richtete den Blick auf ihr Ebenbild und erschrak über ihr Aussehen. Das war sie, und dennoch kam sie sich sehr fremd vor.
Ungläubig betrachtete sie sich im Spiegel. Es waren ihre großen, ausdrucksvollen dunkelbraunen Augen, die sie sah. Sie drückten die Unsicherheit aus, die sie empfand. Es war ihr voller, gut geschnittener Mund, den sie gern schmollend oder zu einem Lächeln verzog, sobald sie ihren Willen bekommen hatte. Das leicht vorgeschobene Kinn zeugte von ihrer Entschlossenheit und ihrem feurigen, eigensinnigen Wesen. Wenngleich sie ihre Gesichtszüge erkannte, sah sie mit dem unter dem Schleier versteckten Haar ungewohnt aus. Tatsächlich wie eine Nonne.
„Ich fasse es nicht!" flüsterte sie, ohne den Blick von ihrem Spiegelbild zu wenden.
„Du kannst es getrost glauben. Du siehst aus, als seist du zur Nonne geboren", erwiderte Maria leise und fragte sich, wie die hochmütige, extravagante Reina Alvarez, die einzige Tochter des reichsten Haziendabesitzers im Tal, allein durch das Anlegen eines Nonnengewandes ihr Aussehen so grundlegend verändern konnte.
Die Freundin sah sehr religiös aus, doch wenn es etwas gab, für das sie nichts übrig hatte, war das Frömmigkeit. Sie war kein schlechter Mensch, aber seit Maria sie kannte, hatte Reina immer wieder gezeigt, dass sie sich viel zu sehr mit sich befasste, ihr sorgenfreies Leben zu hemmungslos auskostete, um auch nur einen Gedanken an etwas anderes als ihr Vergnügen zu verschwenden.
„Vielleicht sollte ich in Betracht ziehen, hier bei dir zu bleiben", sagte Reina und warf Maria einen Blick über die Schulter zu.
„Man macht keine Scherze über die religiöse Berufung eines Menschen", erwiderte Maria tadelnd. Da Reina wiederholt versucht hatte, sie davon abzuhalten, dem Orden beizutreten, wusste sie sehr gut, welchen Standpunkt die Freundin über das Leben einer Nonne vertrat. Sie hatte
jedoch nicht auf sie gehört und nach dem Novizenjahr die ewigen Gelübde abgelegt.
„Wer hat gescherzt?" fragte Reina schmollend. „Selbst das Leben hier wäre der mir aufgezwungenen Ehe mit dem abscheulichen Amerikaner vorzuziehen!" Das Wort
„Amerikaner" hatte sie sehr verächtlich ausgesprochen, weil sie den Mann verabscheute, der ihr überraschenderweise vom Vater zum Verlobten bestimmt worden war.
Ein Frösteln rann ihr bei dem Gedanken über den Rücken, dass der Vater ihr erst vor drei Tagen abends angekündigt hatte, sie werde in knapp sechs Monaten Nathan Marlow heiraten, den ihr verhassten Amerikaner. Als ob diese Neuigkeit nicht schon bestürzend genug gewesen wäre, hatte er sich geweigert, die vorgebrachten Einwände zur Kenntnis zu nehmen, und sie war durch seine für ihn uncharakteristische, herzlose Uneinsichtigkeit hinsichtlich ihrer Gefühle sehr verletzt worden. Trotzdem war sie zu dieser Zeit noch überzeugt gewesen, sie könne ihn umstimmen, denn schließlich hatte er ihr früher nie
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