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dem Sinn schlagen konnte. Manchmal fragte er sich, ob er je dazu fähig sein würde. Er war sich darüber im Klaren, dass ihre Wege sich nie mehr kreuzten, und fand diesen Gedanken eigenartig störend, wenngleich er sich den Grund dafür nicht erklären konnte. Innerlich zu angespannt, um auch nur an Schlaf zu denken, wandte er sich vom Fenster ab und verließ den Raum.
10. Kapitel
Die siebzehnjährige Molly Magee lächelte zärtlich, während sie den kleinen Bruder betrachtete. „Nun, Jimmy, glaubst du, dich um Ma kümmern zu können, wenn ich bei der Arbeit bin?"
„Natürlich kann ich das, Molly", antwortete der rothaarige, sommersprossige achtjährige Bruder im Brustton der Überzeugung. „Du kannst dich auf mich verlassen."
Wenngleich es Molly nicht behagte, dass Jimmy den Schulunterricht verpasste, und sie Bedenken hatte, ihn mit der kranken Mutter allein zu lassen, war ihr klar, dass ihr keine andere Wahl blieb. Ihre Arbeit im Restaurant „Zum Goldenen Kessel" war im Moment die einzige Einnahmequelle der Familie, und die Eigentümerin, eine robuste, bösartige Frau namens Bertha Harvey, würde nicht zögern, sie zu entlassen, falls sie es wagen sollte, auch nur einen Tag zu fehlen. Sie zog den Bruder in die Arme und drückte ihn liebevoll an sich.
„Du bist ein guter Junge, Jimmy", sagte sie, zerraufte ihm voller Zuneigung das Haar und ließ ihn dann los. „Hör zu! Ich bin bereits verspätet, verspreche dir jedoch, so schnell wie möglich zurückzukommen."
„Ich hoffe, Mrs. Harvey lässt dich die verlorene Zeit nicht nacharbeiten."
„Das hoffe auch ich, Schätzchen", erwiderte Molly.
„Was soll ich für Ma tun, wenn sie wach ist?"
„Sorg dafür, dass sie viel zu trinken hat und auch sonst alles bekommt, was sie möchte."
„Ja", versprach Jimmy.
Molly ging durch den Raum und blieb vor dem schmalen Bett stehen, in dem die Mutter unruhig schlief. Das Leben war nicht gut zu ihr gewesen. Sie hatte geheiratet und im Alter von sechzehn Jahren Molly zur Welt gebracht. Ein Jahr nach Jimmys Geburt war sie mit ihrem Mann zu den Goldminen gezogen und hatte miterleben müssen, wie er bald nach der Ankunft bei einem Kartenspiel erschossen wurde. Seither war sie auf sich gestellt gewesen und hatte auf jede Weise Geld verdient, um sich und die beiden Kinder ernähren zu können. Das war nicht einfach gewesen, vor allem deswegen nicht, weil sie sich gesträubt hatte, durch Prostitution schnelles Geld zu verdienen. Sie hatte ein ehrbares Leben führen wollen, und zumindest das auch geschafft. Aber es war das sehr anständige, mit harter Arbeit angefüllte, sie auszehrende Leben gewesen, durch das sie zu schwach geworden war, um Abwehrkräfte gegen die Krankheit zu haben.
Molly betrachtete die sich im Fieber wälzende Mutter und fand, sie sähe jetzt viel älter aus als dreiunddreißig. Das einst flammendrote Haar war nun matt und mit grauen Strähnen durchsetzt. Abgesehen von den roten Flecken auf den eingefallenen Wangen war das Gesicht leichenblass. Molly war daran gewöhnt, dass die Mutter gesund und kräftig war. Sie war nie krank gewesen, hatte jetzt jedoch schon seit drei Tagen hohes Fieber und zeigte keine Anzeichen von Besserung.
„Jimmy, Liebling, ich muss fort. Ich komme bereits zu spät", sagt Molly seufzend und wandte sich vom Bett ab.
„Komm schnell zurück!" Jimmys Stimme hatte etwas ängstlich geklungen, als erschrecke auch ihn die unsichere Lage, in der man sich befand.
„Ich verspreche es dir."
Molly drückte ihn ein letztes Mal an sich und eilte dann aus dem kleinen Haus. Bis zum „Goldenen Kessel" war es ziemlich weit, und sie musste fast den ganzen Weg rennend zurücklegen, weil sie Angst vor Mrs. Harveys Zornesausbruch hatte.
„Du weißt, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn du zu spät kommst, Molly!"
Als sie einige Zeit später in die Küche des Restaurants hastete, wurde sie mit diesen scharf vorgebrachten Worten empfangen. „Ja, Madam, aber meine Mutter ist krank, und ich ..."
„Ich habe Gäste, die bedient werden müssen. Wenn du das nicht tun kannst, werde ich mir jemand anderen suchen, der dazu imstande ist!"
erwiderte die grauhaarige Bertha kalt.
Das war genau das, was Molly von ihr zu hören erwartet hatte, und trotzdem zuckte sie nach dieser Drohung zusammen. „Ja, Madam."
„Du wirst ohnehin schon das Mittagessen zu spät zum Sheriff bringen. Kümmere dich sofort darum."
„Ja, Madam", erwiderte Molly atemlos und holte rasch in der Küche, was sie
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