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brauchte. In gewisser Weise war sie froh, dass ihre erste Pflicht an diesem Tag darin bestand, das Mittagessen ins Gefängnis zu bringen. Je weniger Zeit sie in Mrs.
Harveys Gegenwart verbringen musste, desto besser. Außerdem wusste sie, dass sie Mr. O'Keefe wieder sehen werde.
„Ich möchte, dass du das Essen ablieferst und unverzüglich zurückkommst. Ich will nicht, dass du dort verweilst und mit den Gefangenen redest. Hast du verstanden, Molly?"
Die Befehle lenkten Molly von dem jungen Mann ab, der des Mordes an Señor Santana wegen eingesperrt worden war. Aus irgendeinem Grund war das Verfahren gegen ihn jedoch noch nicht eröffnet worden.
„Ja, Madam. Ja, Mrs. Harvey" antwortete sie respektvoll. „Aber ich glaube wirklich nicht, dass ..."
„Ich bezahle dich nicht fürs Denken, Molly, sondern für deine Arbeit." Mit einem eisigen Blick erstickte sie jede Erwiderung des Mädchens im Keim. Sie war eine engstirnige alte Frau, die Widerspruch seitens ihrer Angestellten nicht duldete.
Molly senkte den Kopf, damit Mrs. Harvey das verärgerte Aufblitzen in ihren grünen Augen nicht sah. Sie schwieg, obwohl sie ihr am liebsten widersprochen und vorgehalten hätte, dass Mr. O'Keefe, der so freundlich blickende blaue Augen und eine so sanfte, weiche Stimme hatte, unmöglich der Verbrecher sein konnte, als den jedermann ihn hinstellte. Da sie verzweifelt auf anständige Arbeit bedacht war, hütete sie sich indes, etwas zu äußern, das ihre Arbeitgeberin verärgern würde.
Aus dem Bedürfnis, so schnell wie möglich aus Mrs. Harveys Nähe zu kommen, griff sie rasch nach dem auf
dem Herd stehenden Topf mit dem dampfenden Stew, ohne sich vorher ein schützendes Handtuch um die Hand gewickelt zu haben. Als sie sich verbrannte, schrie sie leise vor Schmerz auf und ließ jäh den Topf fallen. Ein Teil des Inhaltes spritzte heraus.
„Das war dumm von dir!" wurde sie von der alten Frau getadelt. Mrs. Harvey krümmte keinen Finger, um ihr zu helfen. „Nun wirst du noch später dort sein als sonst. Wisch auf und bring dann die Behälter mit dem Essen ins Gefängnis."
Molly hielt die Tränen zurück und biss sich in dem Bemühen, sich von dem brennenden Schmerz an der Hand abzulenken, auf die Unterlippe.
„Und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Molly", fuhr Bertha fort. „Ich will nicht hören, dass du dich wieder mit den beiden Gefangenen unterhalten hast. Ich will keine Schlampe für mich arbeiten haben."
„Ich bin keine Schlampe!" entgegnete Molly rasch, nicht gewillt, sich noch mehr beschimpfen zu lassen.
„Und so bleibt es besser! Die beiden Gefangenen sind nichts anderes als kaltblütige Mörder, alle beide, aber vor allem dieser Ace Denton. Er wird morgen gehängt."
„Ich weiß." Unwillkürlich erschauerte Molly bei dem Gedanken an ihn. Ihn hielt sie für schuldig, Mr. O'Keefe jedoch nicht. Ace Denton hatte etwas an sich, das sie verängstigte. Er hatte einen kalten, mörderischen Blick, und sie meinte, er habe nichts Gutes in sich. Er kam ihr vor, als sei all das Böse dieser Welt in ihm vereint. Sie hasste es sogar, ihm sein Essen durch die Gitterstäbe seiner Zelle reichen zu müssen.
„Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch dem anderen Gefangenen der Prozess gemacht und er dann ebenfalls aufgehängt wird", äußerte Bertha leichthin. „Aber an sich sollte ich mich nicht darüber beklagen, dass dieser O'Keefe noch am Leben ist, denn schließlich bringt es mir gutes Geld ein, dass ich das Essen für ihn koche."
„Man wird ihn doch nicht hängen, oder?" platzte Molly gedankenlos heraus.
Misstrauisch schaute Bertha sie an und fragte sich, warum es für Molly von Bedeutung sein mochte, dass dieser O'Keefe nicht gehängt wurde. „Er ist schuldig.
Die
ganze Stadt weiß das. Der Sheriff hat Beweise dafür, dass O'Keefe in den Mord verwickelt ist."
„Aber das bedeutet noch lange nicht, dass er den Mord begangen hat", wandte Molly ein.
„Er ist der Täter, Mädchen. Zweifle keine Minute lang daran. Der Sheriff hätte ihn nicht eingesperrt, wäre er sich seiner Sache nicht sicher gewesen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis O'Keefe für sein Verbrechen büßt, so wie Dentón das morgen tun wird." Bertha bemerkte nicht, wie bestürzt Molly aussah. „Also, bring jetzt das Essen ins Gefängnis und komm sofort zurück. Hier wartet noch eine Menge Arbeit auf dich."
Molly beendete die Vorbereitungen für den Transport der Mahlzeiten und brach dann zum Büro des Sheriffs auf. Sie
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