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das Leben gerettet hatte, jetzt, verwandelt in einen aristokratisch aussehenden, liebenswürdigen Südstaaten-Gentle-man, vor sich im Ballsaal sah. Sie wunderte sich über ihn und versuchte herauszufinden, wie er es geschafft haben mochte, sich so schnell in die Gesellschaft von Louisiana einzufügen.
„,Ach, der!', hat sie gesagt", äußerte Emilie spöttisch zu Rose. „Ja, der!"
„Nun, er ist sehr attraktiv", räumte Reina scheinbar gleichmütig ein. „Er ist jedoch nicht mein Typ."
„Was meinst du damit, er sei nicht dein Typ?" Emilie bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. „Er sieht gut aus und ist offenbar allein hergekommen, denn sonst würde Mirabelle nicht mit ihm flirten. Wie kann er daher nicht dein Typ oder mein Typ oder Roses Typ sein?"
Reina fühlte sich versucht, mit der Wahrheit herauszuplatzen, unterließ es jedoch.
Das war nicht der rechte Augenblick, um sich irgendjemandem anzuvertrauen. Sie befand sich auf einem Ball, und alles war in Ordnung.
Warum hätte sie ein Risiko eingehen sollen? Je weniger Leute Bescheid wussten, desto besser.
„Du weißt, Emilie, dass ich im Moment nicht besonders an Männern interessiert bin.
Und für meinen Geschmack macht er einen viel zu entschlossenen Eindruck." Bei diesen Worten war Reina erschauert, weil sie daran gedacht hatte, wie entschlossen Mr. Cordell tatsächlich war. Rasch nahm sie sich vom Tablett, das ein vorübergehender Diener trug, ein mit Champagner gefülltes Glas.
„Also gut, Reina. Ich glaube dir. Aber bist du sicher, dass du dem Mann nicht vorgestellt werden willst?"
Das war das Letzte, was sie wollte. Sie wusste, dass es viel, viel sinnvoller war, das Schicksal nicht herauszufordern. Froh darüber, dass Mr. Picard und Mr. Randolph sich näherten, lächelte sie die Herren wohlwollend an. „Vielleicht später." Rasch trank sie das Glas mit dem zu Kopf steigenden Champagner aus und ließ sich ein volles anderes geben.
Innerhalb weniger Minuten war sie wieder von ihren Verehrern umringt und froh über die Ablenkung.
„Ich glaube, bei all ihren Bewunderern muss sie sich um einen weiteren Verehrer keine Sorgen machen", sagte Emilie zu Rose und lächelte trocken, während sie sich mit ihr zu anderen Freundinnen gesellte.
In der Zwischenzeit war Reina in eine lebhafte Unterhaltung mit den sie umgebenen Herren gezogen worden. Sie erkannte, dass sie nur die nächsten Stunden überstehen müsse, ohne bei Mr. Cordell Misstrauen zu erregen. Falls ihr das gelang, würde alles in Ordnung sein.
Allein der Gedanke, dass sie den kritischen Augenblick mit ihrem personifizierten Albtraum gut überstanden hatte, stimmte sie heiter. Derweil sie noch mehr prickelnden Champagner trank, wurde sie beinahe übermütig. Ihre Bewunderer überschütteten sie mit blumigen Komplimenten und wetteiferten um ihre Aufmerksamkeit. Fröhlich ging sie auf ihre Äußerungen ein, lachte und flirtete mit jedem von ihnen. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich nicht mehr bedroht und war glücklich.
Clay war sehr erfreut und enorm erleichtert, als er Minuten später Miss Alvarez in den Ballsaal kommen sah. Seine
List hatte funktioniert! Miss Alvarez war überzeugt, dass er sie nicht erkannt hatte.
Ein Gefühl der Macht erfasste ihn, und am liebsten hätte er laut aufgelacht. Er hatte den Spieß umgedreht. Jetzt war er derjenige, der die Trümpfe in der Hand hielt.
Jetzt war er Herr der Lage.
Verstohlen beobachtete er Miss Alvarez, die mit den sie umgebenden Gentlemen schäkerte. Er konnte gut verstehen, weshalb Männer sich um sie scharten, denn rein äußerlich gesehen war sie eine sehr schöne Frau, in Wirklichkeit jedoch, wie er wusste, nichts anderes als eine leichtfertige, herzlose Person, die sich jeder Situation anzupassen verstand. Die Erkenntnis, wie falsch sie war, erfüllte ihn mit schrecklicher Verbitterung und Entschlossenheit. Es kostete ihn die größte Selbstüberwindung, nicht alle Vorsicht in den Wind zu werfen und sofort durch den Saal zu gehen, Miss Alvarez zu ergreifen und auf dem kürzesten Wege mit ihr nach Kalifornien zurückzukehren.
Je länger er sie beobachtete, desto wütender wurde er. Sie mochte sich für eine gute Schauspielerin halten, die es verstand, jeden Zuschauer für sich einzunehmen, doch er war jetzt um vieles klüger. Sie würde ihn nie mehr zum Narren halten. Nun wusste er genau, welche Art Frau sie war.
Er schnaubte verächtlich. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor er die Gewalt über sich, und die
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