033
kleine Miss Alvarez war in der Postkutsche gewesen, so wie er das vermutet hatte.
Er hätte auf der Stelle seinen letzten Dollar verwettet, dass sie sich heute Abend unter dem Namen Isabel Nunez für Miss Delacroix' Cousine ausgab, falls ihr Vater jemanden hergeschickt hatte, der nach ihr suchte.
Er kochte vor Wut, versteifte und fragte sich, wie er so dumm hatte sein können. Er haderte mit sich, weil er sich durch die Verkleidung hatte täuschen lassen und die unumstößliche, ihm seit langem geläufige Wahrheit über Frauen außer Acht gelassen hatte. Es gab keine süßen, ehrlichen, unschuldigen Frauen. Es gab keine Schwestern Maria Reginas. Alle Frauen waren verlogene, hinterlistige Geschöpfe, genau wie die Mutter! Wütend schwor er sich, das nie mehr zu vergessen.
„Stimmt etwas nicht, Mr. Cordell?" fragte Mirabelle kokett. Sie hatte sich an seinen Arm geklammert, und wenngleich er äußerlich kein Zeichen für Verärgerung erkennen ließ, war sie durch das Gefühl sich seiner plötzlich anspannenden Muskeln irritiert worden.
„Es ist alles in Ordnung, Miss Mosley", log er. Er war verärgert und gleichzeitig sehr aufgeregt. Ihm war jedoch
klar, dass er sich nicht anmerken lassen durfte, Miss Al-varez erkannt zu haben. Hier im Ballsaal durfte es nicht zu einer Szene kommen. Er musste sie im Glauben lassen, ihre Verkleidung als Nonne habe ihn vollständig getäuscht. Er schaffte es, wenngleich es ihn große Mühe kostete, eine Miene aufzusetzen, die flüchtige Bewunderung ausdrückte.
Zum ersten Mal war er, seit Miss Mosley sich bei ihm eingefunden hatte, froh über ihre Anwesenheit. Sie bot ihm die ideale Ablenkung, während er versuchte, seinen Gefühlsaufruhr zu bändigen. Sich den Anschein der Gelassenheit gebend, wandte er den Blick von Miss Alvarez ab und richtete ihn auf Miss Mosley. Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln und neigte sich vertraulich zu ihr. „Warum gehen wir nicht etwas trinken?"
Derweil er sie, die selbst gewählte Rolle perfekt ausfüllend, zum Banketttisch geleitete, war er jedoch voller Angst. Am liebsten hätte er zurückgeschaut und sich vergewissert, dass Miss Alvarez noch da war. Er befürchtete, sie könne in Panik geraten und gegangen sein, hoffte jedoch inständig, sie möge das Haus nicht verlassen haben. Die nächsten Minuten würden zeigen, wie er sich verhalten musste. Falls sie verschwunden war, würde er sie verfolgen oder das Risiko auf sich nehmen müssen, sie wieder aus den Augen zu verlieren. Gespannt wartete er auf die Möglichkeit herauszufinden, was geschehen würde.
Reina dachte an Flucht, während sie Mr. Cordell beobachtete und abwartete, was passieren würde, doch dann hielt sie sich vor, dass er offensichtlich nicht gemerkt hatte, wer sie war, denn sonst hätte er sich nicht einfach abgewandt. Nichts Schreckliches würde geschehen. Er würde sich umschauen, feststellen, dass die von ihm gesuchte Miss Alvarez nicht anwesend war, und nach Kalifornien zurückkehren, um ihrem Vater Bericht zu erstatten.
Sie war erleichtert und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Plötzlich war ihr die große Sorge von der Seele genommen, sie könne entdeckt und gegen ihren Willen nach Hause zurückgebracht werden. Endlich war sie wirklich sicher. Sie hatte sich Mr. Marlow entzogen und vor, nie mehr in seine Nähe zu gelangen.
Beruhigend atmete sie durch und lächelte dann befreit.
Jetzt konnte sie den Abend wirklich genießen. Sie hatte etwas zu feiern. Da sie glaubte, ihr Schicksal wieder in Händen zu halten, stieg sie die restlichen Treppenstufen hinunter und gesellte sich vor der Ballsaaltür zu Emilie und Miss Jackson.
„Hast du den Mann gesehen, Isabel?" erkundigte Emilie sich aufgeregt.
„Ich weiß nicht. Wo ist er?"
„Da drüben." Rose zeigte auf ihn. Er händigte soeben Miss Mosley ein Punschglas aus und lachte fröhlich über etwas, das sie zu ihm gesagt hatte.
Reina empfand Unbehagen, als sie ihn mit der hübschen jungen Frau flirten sah. Sie zuckte jedoch betont gleichmütig mit den Schultern. „Ach, der!"
Sie wusste, sie sollte den Blick von ihm wenden, weil die Gefahr bestand, dass Mr.
Cordell aufschaute und bemerkte, dass sie ihn ansah. Aus irgendeinem seltsamen Grund konnte sie ihn jedoch nicht aus den Augen lassen. Seine überwältigende männliche Ausstrahlung schien sie in den Bann geschlagen zu haben. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie den vom harten Ritt verschwitzten Pistolenhelden, der ihr noch vor wenigen Wochen
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