0333 - Drei Herzen aus Eis
seine Tränen nicht zurückhalten, und der hinter der Kapelle fahrende Wagen rollte lautlos dahin.
Es regnete auf den Sarg. Sein lackiertes Holz war mit einem feuchten Film überzogen und glänzte noch stärker.
Unzählige Kränze wurden auf einem anderen Weg zum Grab geschafft, um dort niedergelegt zu werden.
Sie gingen den breiteren Hauptweg nicht bis zu seinem Ende durch, sondern bogen vorher ab. Der Pfad, den sie jetzt benutzten, war schmal.
Diese Umgebung besaß mehr einen parkähnlichen Charakter, aber bald tauchten die ersten Gräber auf.
Sie gliederten sich harmonisch in die Landschaft ein. Es waren sehr originelle Grabsteine, die diesen Friedhof so sehenswert machten und ihn fast aussehen ließen wie ein Museum oder eine Kunstausstellung.
Auch Yves würde einen Grabstein bekommen.
Hinter den Grabreihen rechts und links des Weges hatte sich die Natur ausbreiten können. Dort wucherten Sträucher, Buschwerk und auch blühende Pflanzen. Manchmal wehte den Trauergästen ein betäubender Duft entgegen. Die Musiker intonierten jetzt Stücke, die der Tote während seiner Anfangszeit in New Orleans geschrieben hatte. Sie berichteten von der Schwermut eines Lebens, das sich in einer Zeit abgespielt hatte, die für die Menschen nicht gerade positiv gewesen war.
Manchmal stiegen die klagenden Töne gegen das Grün der Dächer, als wollten sie sich über die Ungerechtigkeiten auf der Welt beschweren.
Die zahlreichen Trauergäste schauten entweder zu Boden oder auf die Rücken ihrer Vorderleute. Niemand hatte einen Blick für die Dinge am Wegrand übrig und deshalb sah auch keiner von ihnen das kalte Augenpaar, das genau beobachtete und mitwanderte.
Der Höhe nach hätte es ein Mensch sein können, doch Menschen besaßen andere Augen und auch andere Pupillen. Nicht so kalt, so gnadenlos, so grausam.
Und auch nicht so gelb…
War es ein Tier?
Niemand wußte es. Keiner hatte es gesehen, und doch war es da, und es ließ die Menschenschlange nicht aus den Augen.
Wenn es sich bewegte, raschelte es im Unterholz. Auch diese Geräusche wurden nicht vernommen. Das Tropfen des Regens und das Knirschen der Füße auf dem Kies übertönte alles andere.
Unbewegt waren die Gesichter der Menschen. Dabei bleich, denn ein jeder beschäftigte sich mit seinen eigenen Gedanken.
Je weiter sie gingen, um so mehr änderte sich die Form der Gräber.
Die Plätze wurden jetzt kleiner, man hatte sparen müssen, aber noch immer zeigte jedes Grab einen individuellen Zuschnitt.
Die Musiker setzten zu einem letzten Blues an. Zuerst spielte der Trompeter allein, bevor die anderen Instrumente einsetzten, aber auch die Schwermütigkeit des Grundthemas nicht vertreiben konnte. Als der letzte Ton verklang, hatte die Trauergemeinde das Grab erreicht. Es lag auf der linken Seite des Wegs.
Es roch nach frisch ausgehobener Erde. Der Lehmhügel glänzte vor Nässe und war glitschig. Ein Heer von Kränzen lag in der Nähe, und auch die um das Grab herumliegenden Gehbretter waren schmutzig und feucht, so daß sie hölzerne Rutschbahnen bildeten.
Es wurde still, als vier Totengräber, die wie aus dem Nichts erschienen, mit ihren behandschuhten Händen die Griffe des Sarges umfaßten und ihn anhoben.
Sie schleppten ihn zum Grab, blieben dort für einen Moment stehen und ließen die schwarze Totenkiste an Seilen in die Kühle der Erde hinab.
Alle schauten dorthin, niemand hatte Augen für die Umgebung, in der etwas lauerte.
Es war noch da!
Und es schob sich näher heran.
Zweige glitten über seinen Kücken, stachen in das dichte Fell, aber es kümmerte sich nicht darum. Auch nicht um die Nässe und den weichen Boden.
Es lauerte.
Die Menschen hatten einen Halbkreis gebildet. Für den Pfarrer war ein wenig Platz geschaffen worden, so daß sich dieser am Kopfende des Grabes aufbauen und seine Rede halten konnte.
Er hatte sich gut vorbereitet und fand genau die richtigen Worte.
Als er mit seiner Rede fertig war, spielten die Musiker zum letzten Mal.
Sie gaben sich besondere Mühe. Einigen von ihnen liefen die Tränen über die Wangen.
Der Pfarrer zog sich zurück. Er nickte einigen Leuten zu und ging mit seinen beiden Meßdienern davon, während allmählich die letzten Töne über den Friedhof hallten und verklangen.
Noch blieben die Menschen stehen. Jeder wollte eine Blume oder eine Schaufel Lehm in das Grab werfen.
Irgend jemand aus der Trauergemeinde machte den Anfang. Es war ein ebenfalls schon älterer Mann, dessen Haar im Laufe der
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