0333 - Drei Herzen aus Eis
bisher noch nicht in der Hand gehabt. Er war gespannt darauf, wie sie sich anfühlten, wenn sie erst einmal zwischen seinen Fingern lagen.
Noch immer traute er sich nicht so recht. Er schlich weiterhin um die Vitrine herum, seine Augen waren leicht verengt, denn die drei Beutestücke rührten sich noch immer nicht. Sie schienen ihn nur anzustarren und darauf zu warten, von ihm aus dem Gefängnis geholt zu werden.
Herzen aus Eis!
Wo gab es das?
Und diese Herzen waren nicht tot, sie lebten durch die Kraft des Teufels. Das wußte er genau.
Lebende Eisherzen. Ein wirkliches Phänomen. Vielleicht ein Traum.
Für ihn bestimmt, denn schon immer hatten ihn Experimente interessiert, die sich um das Leben drehten.
Er atmete tief durch. Der Teufel hatte ihm freie Bahn gegeben, weshalb sollte er sie nicht nutzen?
Langsam streckte er seine Arme aus. Die Finger hielt er gespreizt, und es gelang ihm plötzlich, durch das Glas der Vitrine zu greifen, ohne es zuvor öffnen zu müssen.
Wieder das Phänomen.
Sein Gesicht schien ebenfalls vereist zu sein. Auf den wie erstarrt wirkenden Zügen stand die Spannung fest eingemeißelt. Er hatte in den letzten Sekunden Falten bekommen, wo eigentlich gar keine gewesen waren. Grau und alt wirkte er in diesen Augenblicken dicht vor der endgültigen Entscheidung.
Und dann griff er zu.
Eigentlich hätte er die Kälte spüren müssen, doch dies war nicht der Fall. Obwohl die Herzen mit einer dicken Schicht aus Eis umgeben waren, fühlten sie sich nur kühl an. Beide Hände schlang er um das erste Herz. Er wußte nicht einmal, wem es gehört hatte, denn sie sahen alle gleich aus, wichtig allein war, daß die Kraft des Teufels in ihnen steckte und sie so reagierten, wie er es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.
Er balancierte das Herz zwischen seinen Handflächen. Sehr vorsichtig trug er es. Dabei hütete er sich, härter zuzufassen, aus Angst, es könnte zerbrechen.
Schritt für Schritt ging er tiefer in das Verlies hinein und erreichte eine alte Holztür, deren Scharniere einen dicken Rostfilm zeigten.
Vor dieser Tür blieb er stehen, legte das Eisherz auf seinen linken Handteller und bückte sich, um den Griff erreichen zu können.
Auch dieser Griff war kalt und ebenfalls rostig. Er ließ sich jedoch leicht bewegen, weil er regelmäßig nachgeölt wurde. Dann war er so weit unten, daß der Mann die Tür aufziehen konnte.
Diesmal knarrte sie. Das Geräusch klang wie das unheimliche Ächzen eines Monstrums, und über die Züge des Mörders glitt ein Lächeln. Bis zum Anschlag hin hatte er die Tür aufgedrückt, so daß er über die Schwelle treten konnte.
Ein weiteres Verlies nahm ihn auf. Es war zu einer Seite hin offen.
Eine Treppe, fast angelegt wie eine Rutsche, führte in die Tiefe, aus der ein gleichmäßiges Rauschen an Pierres Ohren drang.
Das war normal, das interessierte ihn nicht. Etwas anderes war für ihn viel wichtiger.
Der Lichtschein aus dem ersten Raum reichte auch aus, um dem zweiten Verlies die Helligkeit zu geben, die Pierre benötigte. Sein Ziel war ein schmaler Tisch, und darauf lag etwas, das er unbedingt zu seinen Zwecken benötigte.
Es war ein Tier.
Relativ lang, in einem braunweißen Farbton schimmernd und mit Feuchtigkeitsperlen auf dem Fell.
Eine Ratte.
Sie lag auf dem Rücken und sah aus wie tot. Nur Pierre wußte, daß dem nicht so war, und über seine Lippen zuckte ein satanisches Lächeln, als er neben dem Tisch stehenblieb, das Herz vorsichtig auf die Platte legte und eine Schublade aufzog.
Das Holz war feucht geworden, die Lade klemmte ein wenig. Er mußte zweimal rücken, um sie so weit aufzuziehen, wie er es wollte.
Seine Hand tauchte hinein.
Als sie wieder zum Vorschein kam, hielten die Finger etwas Glänzendes umklammert.
Es war ein Seziermesser.
Die Ratte lag auf dem Rücken.
Der Mörder blickte noch einmal auf das Herz, schaute die Ratte ebenfalls kurz, aber intensiv an und senkte die rechte Hand mit dem Seziermesser. Dann führte er den ersten Schnitt aus…
***
Wer in dem Hospital Bretonneau seine Krankheit auskurierte und ein Zimmer im breiten Südwestflügel besaß, der konnte, wenn er aus dem Fenster schaute, schon trübsinnig werden. Sein Blick fiel dabei genau auf die Nordostseite des Cimetiere Montmartre, eines großen Friedhofs, der irgendwie fehl am Platz war. Wo sich soviel Lebensfreude zusammenballte wie in diesem weltbekannten Bezirk von Paris, hätte man keinen Friedhof anlegen sollen.
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