0334 - Grauen in den Katakomben
fragte mich gleichzeitig, ob es mir leidtat. Ja, sie war eine Gegnerin gewesen, hatte sogar gemordet, und ich hätte sie gern vor ein ordentliches Gericht gestellt. Aber konnte man einer Hexe den Prozeß machen?
Verrückte Gedanken, alles lief wieder durcheinander. Dennoch spürte ich, daß etwas vom Magen her in die Höhe stieg.
Mußte ich um sie weinen?
Nein, das war sie eigentlich nicht wert. Nach all dem Schrecklichen, das sie zu verantworten gehabt hatte. Dennoch war das Band zwischen uns nicht völlig gerissen gewesen, ein paar Fasern hatten noch immer gehalten.
Aber auch sie waren nun zerstört.
Keine Chance mehr für Jane. Der Satan hatte sein Versprechen eingelöst und sie für ihren angeblichen Verrat bestraft.
Trotz des Würfels.
Das war etwas, über das ich nicht hinwegkam und worüber ich mich sehr wunderte. Wem der Würfel gehörte, dem gehorchte er auch.
Weshalb hatte Jane ihn nicht gegen den Satan eingesetzt?
Über diese Frage wollte ich nachdenken, es blieb beim Vorsatz, denn ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Jetzt gehörte er eigentlich mir. Ich wollte ihn auch an mich nehmen und legte beide Hände um die Seiten.
Zunächst spürte ich die Kälte, die gleichzeitig auf meinen Handflächen brannte, so daß ich zurückzuckte.
Da stimmte etwas nicht…
Sogar sehr viel, denn ich hörte eine Stimme.
Auch die von Paul Meurisse, als er nach mir rief. Die andere Stimme aber war wichtiger.
Sie gehörte einer Frau.
Tanith…
»John Sinclair, höre mir genau zu, da ich mich nur kurz melden kann. Die Verbindung versucht jemand zu stören. Wahrscheinlich der Satan. Es gibt eine Rettung. Jane ist eine Hexe, sie kann möglicherweise weiterleben, auch ohne Herz, aber du mußt etwas anderes finden. Mache dich so schnell wie möglich auf den Weg. Suche und finde die goldenen Skelette und nimm die Vitrine sowie Jane Collins an dich. Wichtig sind die goldenen Skelette, denn sie besaßen einmal Herzen, die ihnen das Leben gaben. Viel Glück, John, viel Glück…«
Ihre Stimme verwehte. Ich aber stand auf dem Fleck, ohne mich zu rühren, hörte sogar noch Schüsse, doch es war völlig unwichtig geworden, denn man hatte mir eine Botschaft übermittelt.
»John!« Ein scharfer Ruf.
Er riß mich aus der Lethargie. Ich drehte mich um, sah Suko an der Treppe und in das Verlies gestürmt kommen.
Schweigend trat ich zur Seite.
Zuerst ging Suko schnell, dann langsamer, und kurz bevor er die Vitrine erreichte, nur mehr zögernd.
Er blieb stehen, senkte den Kopf und wurde aschfahl. Ähnliche Gefühle wie mich vorhin mußten ihn durchtosen. Als er sich zu mir hinwandte, hatte ich den Eindruck, gegen einen künstlichen Menschen zu schauen.
»Ist sie tot?« fragte er.
»Ja.«
»Man hat ihr das Herz genommen…«
Ich nickte. »Dieser Pierre tat es. Wahrscheinlich mit Unterstützung des Teufels.«
»Und jetzt?«
Ich mußte mich erst räuspern, um eine Antwort geben zu können.
»Ich weiß es nicht so recht, aber es kommt da etwas auf uns zu. Ich berichte dir später davon.«
Suko war einverstanden. Mit mir zusammen betrat er den zweiten Raum, wo wir Paul Meurisse und Claudine fanden. Der Agent hielt ein verletztes, bewußtloses Mädchen in den Armen.
Nicht weit von ihnen entfernt lag ein Toter am Boden. Pierre Trudot.
Ihn hatte der Agent erwischt.
»Ich mußte ihn erschießen«, erklärte er, »weil es leider keine andere Möglichkeit mehr gab.«
»Ja, das habe ich gesehen…« Mehr sagte ich nicht, denn ich dachte wieder über die geheimnisvolle Stimme der ermordeten Wahrsagerin Tanith nach. Ihr Geist schwebte in einem Zwischenreich, zu dem es eine Brücke über den Kelch des Feuers gab.
Nicht allein nur über ihn.
Denn die Stimme war nicht von irgendwoher aufgeklungen, sondern aus einem ganz bestimmten Gegenstand.
Aus dem Würfel des Unheils.
Er hatte gewissermaßen zu mir gesprochen, und er hielt auch die Verbindung zu Jane Collins aufrecht.
Mein Gott, was rollte da auf uns zu? Ich bekam regelrecht Angst, und über meine Haut rann ein Schauer.
»Was hast du?« fragte Suko.
»Wir werden sie finden müssen«, sagte ich.
»Wen?«
»Die drei goldenen Skelette.«
Nach dieser Antwort schaute mich Suko an, als hätte ich den Verstand verloren. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln…
ENDE des Zweiteilers
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