0341 - Die Nadel der Cleopatra
Löwin zuvor.
Cleopatras Dienerin war frei, das sagte sie mir auch in den nächsten Sekunden.
»Ich habe lange Zeit gewartet. Du hast mich durch das Sprechen der Formel erlöst. Meine beiden Schwestern und ich werden dafür sorgen, daß auch Usanga, der Knochenbrecher, seinen Weg in die Freiheit findet, darauf kannst du dich verlassen, Unwürdiger…«
Bevor ich noch dazu kam, etwas zu unternehmen, war sie zur Seite gehuscht und glitt auf die Nadel zu.
Sie verschwand darin.
Der Stein schien eine magnetische Wirkung auf sie gehabt zu haben, denn er schluckte sie wie ein Maul.
Ich schaute auf die Sphinx!
So ruhig und unbeweglich wie zuvor hockte sie auf dem Sockel, nichts regte sich mehr an ihrem steinernen Körper, auch die Augen blickten wieder so starr wie vor dem unheimlichen Vorgang.
Es war wirklich nicht zu fassen.
Ich vernahm Sukos Ruf. »Hast du das auch gesehen?« Schon tauchte er neben mir auf.
»Klar.«
»Dann hat bei dir also auch jemand die Sphinx verlassen. Weißt du eine Erklärung?«
»Ich habe den unheiligen Geist beschworen.«
»Und was will er in der Nadel?«
»Usanga wecken.«
»Wer ist das denn schon wieder?«
»Ein Knochenbrecher.«
»Ach, du Scheiße.« Suko wischte über sein Gesicht. Ihm war ebenso wenig wohl in der Haut wie mir. Ein Zurück gab es für uns nicht.
Wir hatten uns die Suppe eingebrockt und mußten sie auch auslöffeln.
Noch besaßen wir Zeit, so daß ich mich umschauen konnte. Ich dachte an die Menschen in den Wagen und erinnerte mich auch daran, daß Spaziergänger selbst bei diesem Wetter am Ufer der Themse entlang schritten.
Wir hatten noch Glück. Bisher hatte niemand etwas von den unheimlichen Vorgängen bemerkt.
Aber es ging weiter.
An der Spitze der Nadel begann es.
Durch das etwas hellere Gestein hob sie sich sowieso von dem normalen Korpus ab. Aber das Gestein war nicht so hell, daß es plötzlich aufgleißte, wie es hier geschah.
Wir starrten auf eine Lichtspitze. Ein strahlender Kegel, der wie eine kleine Sonne wirkte und nach vier verschiedenen Seiten sein Licht verstreute.
Dabei hatte ich das Gefühl, als würde die Spitze allmählich schmelzen, und ich wartete förmlich darauf, daß dicke Tropfen vor unseren Füßen zu Boden klatschten.
Ich irrte mich.
Dafür geschah etwas anderes. Das Licht blieb nicht auf die Spitze konzentriert, es breitete sich aus und begann mit seiner Wanderung durch die Säule.
Entgegen der Erdanziehung drang es von oben nach unten. Das Gestein, vor wenigen Sekunden noch grau, veränderte sich auf magische Art und Weise. Es wurde von dem immer tiefer wandernden Licht allmählich erhellt und nahm auch eine andere Struktur an.
Ich beschrieb sie mit dem Begriff kristallin.
Auf einmal war die Nadel durchsichtig.
Das mußten wir erst fassen. Was hinter uns geschah, wie vielleicht andere Zeugen reagierten, interessierte uns im Augenblick nicht, denn der Vorgang war noch längst nicht abgeschlossen. Innerhalb der Nadel schälten sich Personen hervor.
Es waren vier!
Drei Frauen in langen Gewändern und schwarzen Pagenkopffrisuren. Sie standen genau dort, wo auch der Sockel aufhörte, am unteren Ende der Nadel.
»Verdammt!« flüsterte Suko. »Die kenne ich doch. Genauso hat der Zeuge sie beschrieben.«
»Wen?«
»Die seltsame Erscheinung, mit der Shao so plötzlich verschwand. So sah sie aus, John!«
»Und wo steckt denn Shao?«
»Wenn ich das wüßte!«
Ich warf Suko einen raschen Blick zu und sah sein gequältes Gesicht, das schweißnaß war.
Auch ich sah von Shao keine Spur, wobei sich die Frage stellte, ob sie überhaupt in dieser Säule steckte.
Mein Blick traf wieder die drei seltsamen Frauen in den langen Gewändern. Sie unterschieden sich vom Äußeren her kaum, bis auf eine Kleinigkeit. Die Frau, die in der Mitte stand, hielt einen seltsamen Stab in der Hand, der sich ein seinem Ende zusammendrehte und gewissermaßen den Beginn einer Spirale bildete.
Obwohl ich es nicht genau wußte, konnte ich mir vorstellen, daß der Stab für uns eine Gefahr bildete, da er sehr mächtig war.
Jetzt war es Zeit für mein Kreuz!
Ich zog es hervor, denn bei dieser Magie konnte ich auf meinen geweihten Talisman vertrauen.
Ich dachte an das Allsehende Auge, das Zeichen des Guten, das in das Kreuz eingraviert worden war. Es hatte mir schon einige Male geholfen. Gegen Bastet, die Katzen-Göttin, und auch gegen den unheimlichen Totendämon Anubis.
Noch wartete ich und ließ das Kreuz in meiner Manteltasche
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