0349 - Das Dyarra-Inferno
ihm. In einer Hand hielt er den Hut und benutzte ihn wie ein Paddel, um den Schwung seines Auftriebes zu verstärken.
Wie tief unten war er? Wie tief war der Fluß an dieser Stelle überhaupt? Reichte sein Luftvorrat aus bei der Anstrengung, die er auf sich nehmen mußte, um nach oben zu kommen?
Er kämpfte sich hinauf. Aber es fiel ihm von Sekunde zu Sekunde schwerer, weil der Sauerstoff sich rasch verbrauchte. Er gab etwas verbrauchte Luft ab. Alles in ihm drängte, ganz aus- und sofort wieder einzuatmen, aber er beherrschte sich.
Über ihm war ein Schatten.
Ein Schiff?
Dunkel kam es heran und wurde dabei riesengroß. In der Tat - das mußte der Rumpf eines Frachters sein, der über ihm dahinzòg. Tendyke versuchte, wieder Abstand zu gewinnen. Wenn er in den Sog der Schiffsschraube geriet…
Da war schon das Heck des Schiffes! Er sah das Wirbeln der Flut, sah die rasend schnell jagenden Schaufelblätter der Schraube, die das mächtige Schiff voranstießen! Und er wurde darauf zu gezogen…
Er kämpfte. Aber er hatte nicht genug Sauerstoff, um zu kämpfen! Und wieder war er nicht darauf vorbereitet, Avalons Schlüssel benutzen zu können…
Und dann glitt die Schraube haarscharf an ihm vorbei, und im schäumenden Kielwasser des Frachters kam er in die Höhe, wurde vom Sog noch etwas hinter dem Schiff hergezogen. Aber er war oben, und er konnte nach Luft schnappen!
Er pumpte heftig.
Der Frachter entfernte sich. An Deck war niemand zu sehen. Tendyke orientierte sich. Er befand sich ziemlich in Flußmitte. Rechts und links die Ufer… rechtsseitig erhöht eine Straße, aber kaum eine Chance, an der gemauerten Uferkante hochzuklettern. Links sah es besser aus, aber da war keine Straße in Sicht.
Trotzdem mußte er dort hin. Er wußte, daß er sich nicht mehr lange im kalten Themsewasser würde halten können. Er konnte ohnehin froh sein, daß er es geschafft hatte, aus dem versinkenden Wagen freizukommen.
Damit hatte diese Sheila Prowdy mit Sicherheit nicht gerechnet.
Und eigentlich hätte ihre Rechnung auch aufgehen müssen. Sie hatte nicht ahnen können, daß das kalte Wasser Tendyke gerade noch rechtzeitig wieder zu Bewußtsein brachte.
Sie hätte ihn fesseln müssen, dachte er, während er dem Ufer entgegenschwamm. Nach einer Weile erreichte er es und zog sich hoch, bekam wieder festen Grund unter die Füße. Tief atmete er durch, sah zur anderen Uferseite hinüber.
Er seufzte.
Auf die Schnelle keine Chance, hinüberzukommen. Hier stand er nun, restlos durchnäßt und ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. Er konnte versuchen, nach Richmond zu gehen. Weit konnte die kleine Stadt nicht sein. Aber lag sie nördlich oder südlich von seinem Standpunkt? Er wußte doch nicht, wie weit er im bewußtlosen Zustand noch gebracht worden war.
Seinen Stetson hatte er zum Schluß beim Kampf gegen den Sog der Schiffsschraube doch noch verloren. Von dem guten Stück, seinem Markenzeichen, war nichts mehr zu sehen. Das war ärgerlich.
Er verzichtete darauf, die durchnäßte Kleidung abzustreifen. Er war robust genug, nicht mit einer Lungenentzündung oder Schlimmerem rechnen zu müssen. Außerdem behielt das Leder beim Trocknen so die Form, wenn er es am Körper trug. Allerdings würde er es wahrscheinlich wegwerfen müssen; es würde hart und spröde werden.
Er beschloß, sich südwärts zu wenden. Irgendwo mußte er auf Menschen stoßen. Und dann sah alles wieder anders aus.
Dann konnte er die Jagd auf diese Sheila Prowdy eröffnen, die garantiert fest davon überzeugt war, ihn getötet zu haben.
***
Die Halbdämonin Sheila Prowdy hatte ihren Auftrag erfüllt, und Eysenbeiß war zufrieden, als ihm ihr Bericht überbracht wurde. Mit Tendyke brauchte er also nicht mehr zu rechnen - zumindest nicht so schnell.
Eysenbeiß war nicht so dumm, den Bericht von Tendykes Tod ungeprüft hinzunehmen. Das wäre wohl Dämonenart gewesen, aber er war da vorsichtiger. Deshalb hatte er bisher auch noch alle Begegnungen und Kämpfe mit Zamorra überstanden. Er verzichtete auf die typische Überheblichkeit der Dämonen, die im Regelfall davon ausgingen, daß sie fehlerfrei waren. Das brach ihnen meist das Genick.
Eysenbeiß rechnete also damit, daß Tendyke noch lebte - zumindest solange, bis ein Bericht kam, der den Leichenfund behandelte. Denn die Halbdämonin hatte nur beobachtet, wie der Wagen in der Themse versank.
Ob es Tendyke unter Umständen gelungen war, rechtzeitig wieder zu erwachen und sich schwimmend zu
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