0354 - Gruft der wimmernden Seelen
eine Chance gab, dann nur durch das Kreuz. Ob es die Wolke zerstören würde, war fraglich. Daran wollte ich auch nicht glauben, aber es konnte sie zumindest schwächen.
Noch hatte ich eine Frage. »Weshalb mußte der Pilot sterben? Er hat dir nichts getan.«
»Es war eine Demonstration. Auf die gleiche Art und Weise werde ich euch umbringen. Meine Kraft wird in eure Körper eindringen und dort alles zerstören. Es gibt einen Begriff, der heißt Kreislauf. Ein Lebensnerv der Menschen. Ihn will und werde ich zerstören, das ist alles.«
»Dann weiß ich ja Bescheid«, erklärte ich leise. Gleichzeitig nahm ich mir vor, die Formel zu rufen, doch so weit kam es nicht, denn irgend etwas mußte den Spuk aus der Fassung gebracht haben. Wir hörten ihn nicht, dafür sahen wir die Wolke, wie sie sich zu drehen begann und dabei immer schneller wurde.
»Jetzt wird er uns vernichten!« hauchte Shao.
»Daran glaube ich nicht.«
»Und wieso?«
Ich hob die Schultern. »Kann ich dir zwar auch nicht sagen, aber es ist das Gefühl. Warte ab.« Ich blickte auf mein Kreuz. Ein geheimnisvolles Strahlen hatte von ihm Besitz ergriffen, und die Wolke draußen wurde auf einmal durchsichtig.
Wir sahen wieder die normale Dunkelheit.
Aber noch war der Spuk vorhanden.
Ich wollte wissen, was geschehen war. »He, weshalb reagierst du nicht mehr!«
»Johhhnnnn!«
Shao brüllte meinen Namen. Das tat sie nicht ohne Grund, denn urplötzlich schüttelte sich der Hubschrauber, und wir sackten in die Tiefe. Um uns herum war alles normal, der Spuk war verschwunden, aus welchen Gründen auch immer, aber unsere Lebensgefahr bestand weiterhin, denn die Maschine würde an irgendeinem Hang zerschellen und uns in tausend Fetzen reißen.
In der folgenden Sekunde kam es darauf an, ob mir die Technik noch gehorchte…
***
Auch Suko hatte das scheußliche Wimmern vernommen. Im ersten Moment war er überrascht, da er nicht wußte, aus welcher Richtung die Geräusche an seine Ohren drangen.
Seine Hände, die schon den Sargdeckel umfaßt hielten, zuckten zurück. Er selbst drehte sich und sah plötzlich die kalkbleichen Gesichter in den Wänden.
Widerliche Totenfratzen – manche ähnelten Gipsmasken mit weit aufgerissenen Mäulern – aus denen die klagenden Laute drangen, die Suko einlullten.
Der Inspektor ging so weit zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Und dort blieb er zunächst einmal stehen, um sich auf die neue Lage einstellen zu können.
Die Gruft der wimmernden Seelen.
So hatte man es ihm mitgeteilt. Auf seinem Weg zum Ziel hatte er darüber nicht näher nachgedacht, nun bekam er die Quittung. Auch er fühlte sich als Gefangener dieser Gruft.
Suko besaß einen gewissen Instinkt. Der Spuk hatte dafür gesorgt, daß ihm dieser eingeimpft wurde, und der Inspektor stellte fest, daß die Gesichter in den Wänden nicht eben zu seinen Freunden zählten.
Nein, das ganz gewiß nicht. Es mußten Wesen sein, die auf der anderen Seite standen, denn er spürte deren Feindschaft.
Totenfratzen in der Wand…
Welche Bedeutung hatten sie? Woher kamen sie? Konnten sie ihn aufhalten?
Suko war das Risiko eingegangen und ohne Waffen in das Kloster gekommen. Seine eigenen waren irgendwo verschollen, andere hatte er sich nicht mehr besorgen können, jetzt allerdings hätte er gern welche gehabt, um die schreienden Gesichter vernichten zu können.
Auch in der Wand, gegen die Suko sich gelehnt hatte, waren diese Fratzen zu sehen, und der Inspektor beschloß die Probe aufs Exempel zu machen.
Er drehte sich, ging dorthin, wo sich das nächste Gesicht in der Wand abmalte, streckte vorsichtig den rechten Arm aus und berührte die Stelle in der Gesichtsmitte.
Sehr vorsichtig war er dabei. Die gespreizten Finger tasteten mit den Kuppen über das Gestein, so daß Suko schon beim ersten Kontakt die Kälte spürte, die in der Mauer steckte.
Genau im Gesicht!
Er hielt den Atem an. Damit hatte er nicht gerechnet. Es war die Kälte des Todes, die durch seine Finger flutete und bis zu deren Ende reichte, aber er hatte durch die Berührung auch festgestellt, daß die Gesichter innerhalb der Steine im Prinzip harmlos waren.
Sie sollten wohl nur erschrecken, damit ihr schauriger Leichenchor durch die Gruft hallen konnte.
Es war tatsächlich ein gänsehauterzeugendes Wimmern, ein gequältes Schreien, ein Heulen und Jammern.
Furchtbar für einen Menschen. Doch Suko war Kummer gewohnt, er ließ sich nicht beirren. Sogar ein kaltes Lächeln glitt
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