0356 - Die Tarot-Hexe
verständlich?«
»Verständlich schon«, sagte Zamorra. »Aber der Ton macht die Musik, und wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Ich bin der Ansicht, daß er sich einige Male ein wenig vergriffen hat und auch zu 32 voreilig Dinge herausposaunte, die er nicht unbedingt hätte sagen müssen.«
Perret kramte in der Innentasche seiner Jacke. »Er hält Sie tatsächlich für einen Brandstifter oder Mittäter, Professor«, sagte er. »Zigarette?«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Ich bin zwar kein Brandstifter, aber ein schlechter Steuerzahler – ich rauche nicht. Darf ich Ihnen trotzdem Feuer geben?«
Er holte sein Feuerzeug hervor und ließ die Flamme aufspringen. Perret beugte sich leicht vor und ließ sich die Zigarette in Brand setzen.
»Ungewöhnlich, finden Sie nicht auch? Ein Nichtraucher mit Feuerzeug… ? Wer Feuer hat, steckt auch Häuser an und bringt Leute um, sagt das böse Wort.«
»Und frißt kleine Kinder«, ergänzte Zamorra. »Ich habe Ihnen absichtlich Feuer gegeben, um den Verdacht der Versicherung gegen mich zu nähren.«
Perret winkte ab.
»Graque ist nicht die Versicherung. Er ist nur einer der leitenden Angestellten. Aber auch wenn er das Maul aufreißt, ist noch nichts entschieden.«
»Sie mögen ihn nicht?« fragte Zamorra.
»Sagen wir’s mal so: Doktor Graque ist eine zerbrochene Sprosse auf meiner Karriereleiter.«
»Und jetzt wollen Sie sich mit mir, einem mutmaßlichen Kriminellen, gegen ihn verbünden?«
»Unsinn«, sagte Perret. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß nichts entschieden ist und daß Graque nicht derjenige ist, der das letzte Wort spricht. Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen.«
»Die mache ich mir sowieso nicht…« Zamorra trat einen Schritt zur Seite und sah Perret durchdringend an. »Was wollen Sie wirk…«
Der Schuß riß ihm das Wort von den Lippen.
***
Perret zuckte zusammen und taumelte ein paar Schritte zurück. Seine rechte Hand fuhr zur linken Schulter hoch. Seine Augen waren ungläubig geweitet. Die brennende Zigarette entfiel seinen Lippen.
Zamorra handelte blitzschnell.
Er reagierte reflexhaft. Er warf sich gegen den taumelnden Perret und riß ihn mit sich zu Boden. Gleichzeitig fuhr er herum und versuchte die Schußrichtung zu erkennen. Ein zweiter Schuß donnerte, und etwas zischte dicht an Zamorras Kopf vorbei, während die beiden Männer zu Boden stürzten.
Der Schütze mußte sich in unmittelbarer Nähe befinden.
»Nach links!« zischte er Perret zu und rollte sich gleichzeitig nach rechts über die Straße. Da, wo er gerade noch gelegen hatte, schrammte die dritte Kugel über den Asphalt.
Der Schütze kauerte hinter den geparkten Wagen an der anderen Straßenseite!
Zamorra sprang auf. In der nächsten Sekunde riskierte er alles!
Er hetzte auf den Mordschützen zu!
Es war das höchste Risiko, aber auch die einzige Chance. Wohin er auch floh, er war überall ungedeckt. Der Bursche, der ihm hier auflauerte und auf ihn schoß, hatte überall freie Bahn.
Aber er rechnete bestimmt nicht damit, daß Zamorra ihn trotz der ungünstigen Lage anzugreifen versuchte!
Er schoß auch nicht mehr.
Als der Professor über den Kofferraum des Mercedes flankte, sah er eine Gestalt zwischen den Gartensträuchern des nächsten Hauses verschwinden.
Der Schütze hatte seine Absicht in dem Moment aufgegeben, als er Zamorra unverletzt angreifen sah. Er mußte die Nerven verloren haben und ergriff die Flucht.
In ein paar Häusern gingen Lichter an. Aus der Schänke spähte Doktor Graque, benahm sich aber vorsichtig genug.
Zamorra überwand einen niedrigen Zaun und rannte über Zierrasen und durch ein Blumenbeet. Als er die Grundstücksgrenze erreichte, blieb er stehen und lauschte.
Keine Schritte…
Hatte der Mordschütze sich versteckt? Oder ein paar Haken geschlagen?
Oder war er bereits mit übermenschlicher Schnelligkeit weit fort?
Zamorra mußte mit allem rechnen. Der Killer konnte ebenso hinter einer Regentonne hocken wie hinter einem Johannisbeerstrauch. Er konnte hinter der Hauswand lauern oder sich zwischen den Zweigen eines Baumes im dichten Laub verbergen.
Zamorra konnte versuchen, ihn mit dem Amulett aufzuspüren. Das brauchte aber seine Vorbereitungszeit. Zwischendurch konnte der Killer ihn in aller Seelenruhe abschießen.
Der Professor tauchte in den Schatten unter und kehrte zur Straße zurück. Dort war es lebendig geworden. Weil keine Schüsse mehr fielen, wagten die Menschen sich auf die Straße. Ein paar redeten
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