0366 - Zigeunerliebe - Zigeunertod
Straßenschild. Die Schrift glänzte unter der dicken Eisfläche, und am Rand des Schildes hingen bläulich schimmernde Zapfen wie kleine Dolche nach unten.
Albert Erskine kannte die Strecke im Schlaf. Die Straße würde bald in eine Linkskurve führen, dann traten auch die Bäume zurück, und anschließend waren schon die Häuser des Gespensterdorfes zu sehen.
Manche Stellen auf der Fahrbahn waren sogar trocken. Da hatte der Wind den Schnee schon vorher verweht. Zumeist allerdings sah er die schimmernden graublauen Eisflächen, nur schwer verborgen unter der verharschten Schneeschicht. Da paßte er jedesmal höllisch auf.
Die Kurve erschien.
Weit geschwungen, nicht gefährlich, aber bei diesen Straßenverhältnissen nicht zu unterschätzen.
Erskine nahm sie. Vorsichtig drehte er das Lenkrad nach links, und hätte es fast verrissen, denn nicht weit von der Kühlerschnauze des Rovers entfernt war eine Frau am Straßenrand aufgetaucht. Er hatte sie zuvor nicht gesehen, weil sie sich in Deckung eines Baums aufgehalten hatte.
Jetzt stand sie frei.
Innerhalb weniger Sekunden nahm der Vertreter die Eindrücke voll auf und speicherte sie.
Die Frau trug trotz der kalten Witterung nur eine dünne Bluse und einen Rock. Sie besaß pechschwarzes Haar, das einen dunklen, unnatürlichen Glanz besaß, als wäre es naß geworden, und an ihren Ohren glänzten goldene Ringe.
Wie eine Zigeunerin, dachte Albert, wobei er auch die Zigarette sah, die sie an die Lippen führte, um einen kräftigen Zug zu nehmen.
Auch die rote Narbe auf ihrer Wange entdeckte Erskine, dann hatte er sie erreicht, sah noch das Winken und rollte langsam vorbei.
Verdammt, die hat doch gewunken! dachte er. Ich muß anhalten!
Dieser Gedanke jagte durch seinen Kopf, als er mit dem rechten Fuß das Pedal der Bremse berührte und es langsam nach unten drückte. Behutsam ging er damit um, da er nicht wollte, daß ihm sein Wagen noch wegrutschte und in den Straßengraben glitt.
Erskine war ein glänzender Autofahrer. Er schaffte es auch, den Rover abzubremsen. Nur ein wenig rutschte er vor, dann konnte er die Tür öffnen.
Noch blieb er sitzen. Im Außenspiegel sah er, daß sich die Fraugedreht hatte. Sie schlenderte auf den dunkelgrünen Rover zu. Zwischen ihren Lippen hing die Zigarette. Die dünne Rauchfahne stieg in die eiskalte Winterluft.
Albert Erskine dachte scharf nach. Irgend etwas störte ihn an dieser Frau, nur konnte er nicht genau sagen, was es war. Er hatte sie noch nie gesehen, nur kam sie ihm suspekt vor.
Nicht allein wegen der dünnen Kleidung, da gab es noch einen anderen Grund. Er hatte ihn gehört.
Gehört, das war es!
Man erzählte sich davon, ein jeder kannte es und wußte genau über die Dinge Bescheid, die durch alle Zeitungen gegeistert waren, vom Fernsehen aufgegriffen wurden und immer neuen Gesprächsstoff bildeten.
Die zwölf Gespenster von Pluckley.
Und er, Albert Erskine, befand sich nur zwei Meilen von diesem Ort entfernt.
Im Spiegel sah er die Frau näher kommen. Eine schwarzhaarige Person, die Zigarette zwischen den Lippen, einen wiegenden Gang, den gewissen Schwung in den Hüften, ein lockendes Lächeln auf den Lippen, Ringe in den Ohren… So ähnlich war sie immer beschrieben worden.
Sie, die rauchende Zigeunerin!
Eines der zwölf gespenstischen Wesen aus Pluckley, an die niemand so recht glauben wollte, die es aber dennoch zu geben schien, wie diese langsam näher kommende Gestalt.
Plötzlich bekam der Vertreter Angst! Er hatte zwar nie an diese Spukgeschichten glauben wollen, aber wenn man diese Frauengestalt so deutlich sah wie er, dann konnte man schon den Verstand verlieren.
Außerdem waren diese Spukgestalten gefährlich. Wer ihnen begegnete, den töteten sie.
So hieß es.
Er wollte weiterfahren.
Da traf ihn die unheimliche Magie. Plötzlich saß er erstarrt hinter dem Lenkrad. Nicht den kleinen Finger konnte er mehr bewegen. Er starrte nur in den Spiegel, wo die rauchende, hüftschwingende Frau allmählich größer wurde.
Sie mußte den Wagen nach wenigen Schritten schon erreicht haben und dann…?
Plötzlich stand sie neben ihm. Sie bückte sich ein wenig, um in den Rover hineinschauen zu können, und der unbeweglich hinter dem Steuer sitzende Vertreter spürte die Fesseln einer unfaßbaren Magie, die allein diese Frau ausströmte.
Sie wollte etwas von ihm, auch mit ihm sprechen, denn sie setzte abermals ihre nicht erklärbaren Kräfte ein. Wie von Geisterhänden bewegt, glitt das Wagenfenster
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