0366 - Zigeunerliebe - Zigeunertod
leicht, dennoch wirkten sie schwer und schleppend.
Bei meiner Kopfdrehung erkannte ich Shao, die herankam und mich überhaupt nicht wahrnahm. Sie hatte nur mehr Augen für die Wand, in der Suko und Bill stecken mußten, aber nicht mehr steckten.
Beide waren herausgetreten!
Und beide standen innerhalb der Gruft, starrten sich an, wollten gehen, versuchten die ersten Schritte, wobei ich ihr Taumeln bemerkte, denn es war nach so langer Zeit des Gefangenseins für sie äußerst ungewohnt, sich wieder auf festem Boden zu bewegen.
Sie fielen nach vorn.
Shao und ich reagierten zur gleichen Zeit. Die Chinesin vielleicht um eine Idee schneller, als sie vorsprang und den fallenden Suko mit ausgebreiteten Armen auffing.
Bill, der sich ebenfalls nicht mehr halten konnte, wurde von mir umklammert. Er war ein schwerer Brocken, ich mußte einige Schritte zurückgehen, aber ich konnte ihn halten.
»John, ich bin frei…«
Himmel, was freute ich mich über die Worte meines ältesten Freundes. Ich klopfte ihm auf die Schulter, gab eine Antwort – und, hol’s der Teufel, meine Stimme klang verdammt erstickt, aber ein Mann darf ja wohl nicht weinen – oder?
»Ja, Bill, du bist frei. Du hast es geschafft, mein Alter. Du brauchst nicht mehr zurück. Wir haben Aibon überwunden. Es gibt doch noch stärkere Kräfte…«
Auch er redete, aber ich verstand nicht, was er sagte. Wir waren einfach glücklich, auch in dieser alten, unheimlichen Gruft, die sich zu einem Zentrum der Magie gemausert hatte.
Geschafft!
Welch ein Wort, welch eine herrliche Tatsache.
Bill Conolly stemmte sich von mir weg. Er schaute mich an und schüttelte den Kopf. »John, ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll«, stotterte er. »Das war alles wie ein gewaltiger böser Traum. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man in der Erde gefangengehalten und dabei noch transportiert wird. Das ist einfach unfaßbar, nicht zu erklären. Ich jedenfalls weiß nichts…«
»Jetzt sind wir wieder zusammen. Bill, wir haben einen Sieg errungen. Wieder einmal…«
Oder hätte ich sagen sollen, endlich? Es hatte tatsächlich eine Zeit der Niederlagen gegeben, aber nun hatten wir bewiesen, daß es zum Glück noch Dinge gab, die stärker waren als die Hölle, auch stärker als das geheimnisvolle Land Aibon, denn ich zählte Janes Herzverpflanzung ebenfalls mit dazu.
Shao und Suko standen etwas von uns entfernt. Aus zwei Schatten war einer geworden. Sie umklammerten sich, als würde einer dem anderen das Leben geben.
Erst jetzt gab ich zu, daß es richtig gewesen war, die Chinesin mitzunehmen.
Bill und Suko waren frei – ebenso der Würfel!
Daran hatte ich in den letzten Sekunden überhaupt nicht gedacht.
Die Hetzjagd, die verzweifelte Suche war beendet. Sie hatte so viele Opfer gekostet, das war nun vorbei.
Niemand würde mehr wegen des Würfels sein Leben verlieren.
Ich wollte ihn zu einem Würfel des Heils machen. Und nicht allein ich, auch Suko und Bill dachten bestimmt ähnlich.
Es fiel mir schwer, die lockeren Worte zu sprechen, dennoch sprach ich die zwei an. »Na ihr beiden?«
Zuerst hörten sie nicht oder wollten nicht hören, dann lösten sie sich voneinander und schauten uns an.
Selten oder noch nie habe ich eine so glückliche Shao gesehen. Sie blieb stehen, wischte sich die Tränen aus den Augen. Suko kam vor.
Allmählich nur schälte sich sein Gesicht aus dem tanzenden Wirrwarr von Licht und Schatten. Es gab kaum Worte, um den Ausdruck zu beschreiben, mein Freund schaute mich nur an.
Bill stand daneben und räusperte sich die Kehle frei.
Dann war Suko bei mir.
Ich nickte nur, er nickte plötzlich, sagte: »John, verdammt, du alter Hundesohn…!« Wir lagen uns im nächsten Augenblick in den Armen. Keiner sprach, es war ein Widersehen, eine Begrüßung, wie es sie nur unter Freunden gab, bei denen sich einer auf den anderen verlassen konnte und wo einer bereit war, für den anderen sein Leben einzusetzen.
Wir alle hatten den höchsten Einsatz gestartet – und gewonnen!
Bisher waren wir zu viert gewesen, doch Schritte schreckten uns hoch. Sie klangen auf der Treppe auf und wurden lauter. Sehr schnell erschien der geduckte Schatten.
Shao und ich kannten den lauten Küster, Suko und Bill schauten ihn skeptisch an.
Winston betrat erst gar nicht die Gruft. Er blieb auf der obersten Stufe stehen, seine Augen glänzten vor Angst.
»Ihr müßt… ihr … kommt!«
Ich lief vor. »Was ist geschehen?«
Er senkte seinen Kopf noch
Weitere Kostenlose Bücher