038 - Verbotene Sehnsucht
sein, um dich -
um uns - zu unterhalten."
Daniel beobachtete noch immer, was sein Fingernagel alles mit dem Löscher anstellte. Langsam schob sich seine Unterlippe vor.
Betont munter sagte sie: „Aber LordVale magst du doch auch, oder? Ich könnte ihn fragen, ob er uns in den Hyde Park begleitet." Ihres Sohnes Unterlippe schob sich nur noch weiter vor. „Oder zu einem Jahrmarkt. Vielleicht geht er sogar mit dir Angeln!"
Daniel sah auf und schaute sie ungläubig an. „Angeln?"
Emeline versuchte sich Jasper vorzustellen, wie er mit einer Angelrute an einem reißenden Strom stand. Der Jasper ihrer Vorstellung rutschte sogleich am Ufer aus, ruderte hilflos mit den Armen und fiel in den Fluss.
„Nun ja", meinte sie. „Vielleicht nicht gerade Angeln."
Mittlerweile machte Daniel kleine halbmondförmige Abdrücke in den Löscher.
„Lord Vale ist schon in Ordnung, aber er hat nicht so ein tolles Gewehr wie Mr.
Hartley."
Welch ernüchterndes Urteil.
„Es tut mir leid, Liebling, aber das kann ich nicht ändern", sagte sie sanft.
Sie blickte auf die auf dem Schreibtisch verstreut liegenden Papiere, auf die Anweisungen, die sie geschrieben hatte, und auf einmal verschwamm ihr alles vor Augen. Ihr war, als würde ihr das Herz brechen. Zum Teufel mit Samuel - dafür, dass er jemals in ihrer beider Leben getreten war, dass er sie an jenem ersten Tag in Mrs. Conrads Salon angesprochen hatte, dass er sich so gut mit ihrem Sohn verstand, dass er sie wieder Gefühle haben ließ.
Bei dem Gedanken stockte ihr der Atem. Das war das eigentliche Problem. Er ließ sie wieder Gefühle haben, hatte den harten Panzer durchbrochen, den sie um sich gelegt hatte, und sie wehrlos und verletzlich zurückgelassen. Wund und dünnhäutig fühlte sie sich nun. Wie lange dieses Gefühl wohl andauern würde? Wie lange würde es dauern, bis der Panzer nachwüchse? Sie betrachtete Daniel, ihren wunderschönen, geliebten Jungen. Wie schnell er wuchs! Es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass er ein kleines, schutzloses Baby gewesen war - und jetzt malträtierte er ihre Möbel mit seinen großen Jungenfüßen. Aber wollte sie sich denn überhaupt wieder vor ihren Gefühlen schützen?
Aus einem plötzlichen Impuls heraus lehnte sie sich vor, bis ihre Stirn fast an die seine stieß. „Es wird alles gut werden, Daniel, glaub mir. Dafür werde ich schon sorgen."
Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. „Kann es auch mit Mr. Hartley gut werden?"
„Nein, mein Liebling." Sie setzte sich auf und wandte sich rasch ab, damit er nicht die Traurigkeit in ihren Augen sah. „Das wage ich zu bezweifeln."
„Aber ..."
Just in diesem Moment ging die Tür auf, und sie drehten sich beide um. Tante Cristelle kam herein. Die alte Dame musterte sie mit einem Blick, der mal wieder mehr zu sehen schien, als ihr lieb war.
Emeline wandte sich wieder Daniel zu. „Ich muss nun mit der Tante reden. Warum gehst du nicht nach den Birnentörtchen schauen?Vielleicht lässt die Köchin dich ja eines probieren."
„Ja, M'mam." Glücklich schien Daniel nicht darüber zu sein, so hinauskomplimentiert zu werden, aber er war schon immer ein folgsames Kind gewesen. Brav stand er auf und machte einen halben Diener vor der Tante, ehe er aus dem Zimmer huschte.
„Der Junge hat dich während deiner Abwesenheit empfindlich vermisst", ließ Tante Cristelle sie wissen, und die Falten um ihren Mund vertieften sich in missbilligender Miene. „Ich hielte es für ratsam, ihn nicht gar so sehr an dich zu binden."
Darüber hatten sie schon ungezählte Male gesprochen, und normalerweise würde Emeline ihrer Tante entschieden widersprochen haben, doch heute konnte sie die Kraft dafür nicht aufbringen. Schweigend schob sie ihre Papiere zusammen. Hinter sich hörte sie Tante Cristelles Gehstock bei jedem ihrer Schritte in den dicken Perserteppich stoßen, dann spürte sie die Hand der alten Dame auf ihrer Schulter.
Als sie sich umdrehte, fand sie einen weisen, erstaunlich gütigen Blick auf sich gerichtet.
„Es ist richtig, was du heute Abend tun wirst. Sei unbesorgt." Tante Cristelle klopfte ihr einmal kurz auf die Schulter - ein wahrer Überschwang des Gefühls - und verließ das Zimmer wieder.
Und abermals stiegen Emeline Tränen in die Augen.
Erst Stunden nach Einbruch der Dunkelheit fuhr die Kutsche vor Sams Stadthaus vor.
Sie waren spät aufgebrochen und hatten unterwegs an einem Gasthof eine gute Weile auf frische Pferde warten müssen, weshalb die
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