038 - Verbotene Sehnsucht
Rückreise nach London eine lange gewesen war. Und als sie dann endlich in ihre Straße eingebogen waren, hatte ein ungewohnter Andrang von Gespannen sie weiter aufgehalten. Jemand musste einen Ball geben. Als Sam aus der Kutsche sprang und sich dann umdrehte, um Rebecca herauszuhelfen, fiel ihm auf, dass es das Haus gleich nebenan war, welches so festlich hell erleuchtet war. Emelines Haus.
„Gibt Lady Emeline einen Ball?", fragte Rebecca. Sie zögerte, ehe sie einen Fuß auf den Kutschentritt setzte. „Davon weiß ich gar nichts. Du?"
Bedächtig schüttelte Sam den Kopf. „Wir sind ganz offensichtlich nicht eingeladen."
Er merkte, wie seine Schwester ihn kurz ansah. „Vielleicht hatte sie ihn ja schon geplant, bevor sie uns kennengelernt hat. Oder sie hat nicht damit gerechnet, dass wir so bald schon in die Stadt zurückkehren."
„Ja, das wird es wohl sein", erwiderte er finster.
Das kleine Biest streckte ihm die Zunge raus, wollte ihm ganz deutlich zeigen, dass er in ihrem Londoner Leben nichts verloren hatte. Er wusste, dass er sich davon nicht provozieren lassen sollte, doch schon merkte er, wie er die Fäuste ballte, wie es ihm in den Beinen kribbelte, wie er es kaum erwarten konnte, in ihr Haus zu marschieren und sie zur Rede zu stellen. Er verzog das Gesicht. Nein, das wäre lächerlich. Nun war wahrlich nicht der richtige Zeitpunkt. Das würde warten müssen.
Er versuchte sich zu entspannen und reichte seiner Schwester den Arm. „Wollen wir mal schauen, ob die Köchin uns noch eine Kleinigkeit auf den Tisch zaubert?"
Lächelnd sah sie ihn an. „Ja, das wäre wunderbar."
Während er sie die Treppe hinauf ins Haus begleitete, war er sich alldieweil des strahlend hell erleuchtenden Nachbarhauses bewusst und der elegant gekleideten Gäste, die sich zu Emelines Abendgesellschaft einfanden. Er gab Anweisung, ein einfaches Abendessen auftragen zu lassen, und als er dann mit seiner Schwester im Speisezimmer Platz nahm, schaffte er es gar, während des Essens höfliche Konversation zu machen. Doch in Gedanken war er anderswo, stellte sich Emeline in ihrem elegantesten Kleid vor, sah ihren Busen im Schein unzähliger Kerzen blass und verführerisch schimmern.
Nach dem Essen konnte Rebecca das Gähnen kaum noch unterdrücken und entschuldigte sich. Sam ging hinüber in die Bibliothek und goss sich einen französischen Brandy ein. Nachdenklich hielt er das Glas ins Licht, betrachtete die bernsteinbraune Flüssigkeit. Sein Vater hatte früher nur Selbstgebrannten getrunken, den er von einer Familie kaufte, die zehn Meilen weiter im Wald gewohnt hatte. Einmal hatte Sam einen Schluck pro-biert. Klar wie Wasser war der Schnaps gewesen, doch so scharf, dass ihm fast die Kehle verbrannte. Ob Pa in seinem Leben wohl jemals französischen Brandy getrunken hatte? Einmal vielleicht, als er Onkel Thomas in Boston besucht hatte, der großen Stadt. Aber es wäre etwas ganz Besonderes gewesen, etwas, an das man sich noch lange erinnern würde.
Sam ließ sich in einen zierlichen, goldbesetzten Sessel sinken. Er gehörte hier nicht her, das wusste er. Die Kluft zwischen dem Leben, das er als Kind gekannt hatte, und dem Leben, das er jetzt führte, war einfach zu groß. Ein Mensch konnte sich verändern, aber alle Veränderung hatte auch ihre Grenzen. In der englischen Gesellschaft würde er niemals heimisch werden, und im Grunde wollte er das auch gar nicht. Das war Emelines Leben. Die vornehmen Stadthäuser, die zierlichen Goldstühle, der französische Brandy, die rauschenden Feste, die bis in die frühen Morgenstunden dauerten. Zwischen ihr und ihm lagen Welten. Ein weiter Ozean tat sich im wahrsten Sinne des Wortes zwischen ihnen auf. All das wusste er, hatte sich oft genug Gedanken darüber gemacht.
Doch nun schien es ihm nicht länger von Bedeutung.
Mit einem großen Schluck trank er den Rest seines Brandys aus und sprang entschlossen auf. Er musste mit Emeline reden. Sofort. Welten mochten zwischen ihnen liegen, aber letztlich war sie eben nur eine Frau und er ein Mann. Manchmal lagen die Dinge ganz einfach.
Als er aus dem Haus trat, war nebenan noch immer alles strahlend hell erleuchtet.
Kutscher hockten zusammengesunken auf ihren Böcken, einige Lakaien standen beisammen und ließen eine Flasche herumgehen. Als er beschwingt zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zu Emelines Haus hinaufeilte, stellte ein stämmiger Lakai sich ihm in den Weg.
Ohne mit der Wimper zu zucken, schaute Samuel ihn an. „Ich
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