038 - Verbotene Sehnsucht
Wasser kreisen. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, es war an der Zeit, sich dem Rest ihres Lebens zu stellen. Sie würde mit ihren Entscheidungen leben müssen.
„Handtuch", sagte sie und erhob sich aus dem Bad, als ein Mädchen ihr ein großes Tuch bereithielt.
In den Kolonien gab es gewiss keine so großen Handtücher. Wie gut, dass sie Samuel abgewiesen hatte, da musste sie sich wenigstens nicht mit unzulänglichem Badekomfort abfinden. Verdrießlich stand Emeline da, während ihre Mädchen sie ankleideten. Nicht einmal ihr neues weinrotes Seidenkleid vermochte ihre Laune zu heben. Sie hatte es schon vorWochen geordert, als sie Rebecca bei der Auswahl ihrer Garderobe behilflich gewesen war. Doch was kümmerte es sie jetzt noch? Sie hätte ebenso gut in Sack und Asche gehen können.
Und als Harris ihr das Haar frisierte und einfach kein Ende finden wollte, hielt sie es nicht länger aus. „Das genügt", winkte sie ungeduldig ab. „Ich werde heute ohnehin keine Besucher empfangen. Vielleicht mache ich einen kleinen Spaziergang im Garten."
Harris warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster. „Es sieht aber stark nach Regen aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Mylady."
„Oh, wirklich?", fragte Emeline in schierer Verzweiflung.
Dass sich nun auch noch die Elemente gegen sie verschworen, brachte das Fass wirklich zum Überlaufen. Sie sprang auf und trat ans Fenster. Von ihrem Salon aus konnte man die Straße überblicken, und just als sie hinausschaute, kam Samuel aus seinem Haus und lief die Stufen hinab zu einem Pferd, das an der Straße bereitstand. Sie hörte sich nach Atem ringen. Sein unerwarteter Anblick durchfuhr sie mit einem so heftigen Schmerz, als habe man ihr ein Messer in den Leib gerammt. Die Hand zitterte ihr, als sie sie ans kalte Fenster hob. Nun hätte er nach oben schauen sollen. Er sollte sehen, wie sie ihn von ihrem Fenster aus beobachtete.
Doch wie ernüchternd, er sah nicht auf. Er stieg auf sein Pferd und ritt davon.
Emeline ließ ihre Hand sinken.
Hinter ihr redete Harris noch immer, als sei nichts geschehen. „Dann werde ich nur noch schnell die Kleider aufräumen, Mylady - es sei denn, Sie brauchen mich noch?"
„Nein, das wäre alles." Mit Mühe riss Emeline sich vom Fenster los. „Oder nein, warten Sie."
„Mylady?"
„Holen Sie mir bitte meinen Umhang. Ich möchte Miss Hart-ley nebenan einen Besuch abstatten." Dies könnte vielleicht die letzte Gelegenheit sein, sich von Rebecca zu verabschieden. Das Mädchen ohne ein Wort des Abschieds in die Kolonien zurückkehren zu lassen schien ihr dann doch nicht recht.
Emeline warf sich den Umhang über und eilte bereits die Treppe hinab, noch während sie die Knöpfe schloss. Sie wusste nicht, wie lange Samuel fortbleiben würde, doch sie wollte ihm auf keinen Fall über den Weg laufen. Draußen dräute der Himmel schwer und dunkel. Die Luft roch nach Regen. Sollte sie Rebecca zu Hause antreffen, dürfte sie auf gar keinen Fall zu lange bleiben, wollte sie nicht von einem Unwetter festgehalten werden. Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, klopfte sie an Samuels Tür.
Als der Butler ihr öffnete, stand ihm leise Verwunderung im Gesicht geschrieben.
Natürlich wusste sie, dass es viel zu früh für einen Besuch war, aber letztlich war sie die Tochter eines Earls und konnte tun, was ihr beliebte. Und so verbeugte er sich stumm, als sie an ihm vorbei in die Eingangshalle rauschte, und wies ihr den Weg in den kleinen Salon, wo sie warten könne, während er Miss Hartley holte. Emeline blieb gerade Zeit genug, einen nervösen Blick aus dem Fenster zu werfen, da kam Rebecca auch schon herein.
„Mylady!" Die junge Frau schien über ihren Besuch ebenfalls verwundert.
Emeline streckte ihr die Hände entgegen. „Ich kann Sie doch nicht gehen lassen, ohne mich von Ihnen zu verabschieden."
Rebecca brach in Tränen aus.
Oje. Die Tränen anderer waren ihr schon immer ein Gräuel gewesen. Insgeheim war Emeline davon überzeugt, dass Damen, die in aller Öffentlichkeit weinten, nur Aufmerksamkeit heischen wollten. Sie weinte fast nie, und das schon gar nicht vor anderen - zumindest nicht bis gestern Nacht, als sie vor Samuel geweint hatte.
Daran wollte sie lieber gar nicht denken. „Schon gut", murmelte sie und tätschelte Rebecca unbeholfen die Schulter.
„Es tut mir so leid, Mylady", schluchzte Rebecca.
„Schon gut", wiederholte Emeline brüsk und reichte ihr ein Taschentuch. Was sollte sie auch sonst sagen? Zumal
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