038 - Verbotene Sehnsucht
muss die Arbeit meiner Verwalter überwachen, damit sie keine Gelder veruntreuen. Außer mir selbst gibt es niemanden, der sich um alles kümmert, niemanden, dem ich wirklich vertrauen kann."
Sie schüttelte den Kopf, weil ihr bewusst war, dass sie nicht ausdrücken konnte, was sie eigentlich sagen wollte. „Verstehen Sie denn nicht? Es gibt immer etwas, worum ich mich kümmern oder sorgen muss. Ich kann nie ... einfach nur ich selbst sein."
Wie seltsam, dass sie Rebecca dies anvertraute, wo sie sich doch außerstande gesehen hatte, es Samuel gegenüber zur Sprache zu bringen.
Rebecca zog nachdenklich die Brauen zusammen. „Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen. Ihre Verantwortung lastet schwer auf Ihnen, und es gibt niemanden, dem Sie vertrauen und der Ihnen diese Last abnehmen könnte."
„Ja!", rief Emeline erleichtert. „Ja, genau das meine ich."
„Aber ...", begann Rebecca und sah sie leicht verwirrt an. „Sie werden doch bald Lord Vale heiraten."
„Das wird nichts daran ändern. Ich liebe Jasper wie einen Bruder, aber ihn zu heiraten wird nichts an meinem Leben ändern. Und wenn er sterben oder mich verlassen sollte, wird alles sein wie zuvor."
Schweigend sah Rebecca sie an. Draußen in der Halle waren leise Stimmen zu hören.
„Sie haben Angst, dass Samuel sterben könnte", murmelte Rebecca. „Sie lieben ihn, und Sie haben Angst, sich an ihn zu binden, weil Sie fürchten, ihn zu verlieren."
Emeline blinzelte irritiert. Angst schien ihr wahrlich ein zu kindischer, ein zu feiger Grund, Samuel abzuweisen. Nein, das konnte es nicht sein. Sie versuchte abermals, es zu erklären. „Nein, ich ..."
Just in diesem Augenblick tat sich die Tür des Salons auf. Emeline drehte sich um und runzelte angesichts dieser unerwünschten Störung die Stirn. Eines der Mädchen kam mit dem Teetablett herein. Ihr auf den Fersen folgte Mr. Thornton.
Herrje, was wollte dieser Mann denn schon wieder hier?
Mit flinken Schritten eilte der kleine Mann ins Zimmer, ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Bei ihren früheren Begegnungen hatte er zwar auch immer gelächelt, aber nun kam es ihr auf einmal bemüht vor, irgendwie falsch. Es schien, als versuche er seine grausamen Gedanken hinter einer gefälligen Fassade zu verbergen. Warum war ihr das nie zuvor aufgefallen?Verlor er die Beherrschung über sich, oder ließ ihr neues Wissen sie den Mann mit neuen Augen sehen?
„Ich hoffe, Sie verzeihen mein unverhofftes Erscheinen", sagte Mr. Thornton. „Ich wollte eigentlich Mr. Hartley sprechen."
„Mein Bruder ist leider nicht da", sagte Rebecca. „Ich fürchte, Sie haben einander knapp verfehlt, Mr. Thornton. Er wollte nämlich zu Ihnen - zu Ihrem Laden in der Starling Lane. Oder nein, warten Sie ..." Sie schüttelte den Kopf und überlegte kurz.
„Dort war er ja gestern. Heute wollte er in die Dover Street."
Emeline sah sie scharf an. Ihre Miene war freundlich und gelassen, allenfalls schien sie angesichts der unerwarteten Störung ein wenig aus der Ruhe gebracht. Entweder war sie eine begnadete Schauspielerin, oder Samuel hatte seiner Schwester noch nichts von seinem Verdacht bezüglich Mr. Thornton gesagt.
Doch Mr. Thornton war auf einmal ganz still geworden. „Sagten Sie Starling Lane?
Interessant. Ich wüsste zu gern, was Mr. Hartley dort wollte. Den Laden habe ich schon nicht mehr, seit ich vor sechs Jahren aus dem Krieg zurückgekehrt bin."
„Oh, tatsächlich?" Rebecca runzelte die Stirn. „Dann dachte Samuel vielleicht, dass Sie zwei Läden haben."
„Das könnte sein. Auf jeden Fall sehr ärgerlich, dass ich ihn verpasst habe", meinte Mr. Thornton und warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Teegedeck.
„Sehr ärgerlich, in der Tat", beschied Emeline knapp. „Aber wenn Sie sich beeilen, treffen Sie ihn vielleicht noch in Ihren Geschäftsräumen an."
„Oder aber wir verpassen uns unterwegs erneut", erwiderte er mit einem gewandten Lächeln. „Und das wäre doch wirklich bedauerlich, oder?"
„Trinken Sie doch einen Tee mit uns, und warten Sie hier die Rückkehr meines Bruders ab", bot Rebecca ihm an.
„Es wäre mir ein Vergnügen." Mr. Thornton verbeugte und setzte sich. „Sie sind die Liebenswürdigkeit in Person, Miss Hartley."
„Oh, aber das ist doch der Rede nicht wert", wehrte Rebecca verlegen ab. „Es ist schließlich nur auf eine Tasse Tee."
„Schon, aber manch andere ...", er bedachte Emeline mit vielsagendem Blick, „...
manch andere würden sich einem arbeitenden Mann
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