038 - Verbotene Sehnsucht
sie sich ziemlich sicher war, dass sie selbst der Grund für Rebeccas Kummer war. „Soll ich nach Tee läuten?"
Die Kleine nickte, und Emeline geleitete sie zu einem Sessel, während sie Anweisungen an eines der Hausmädchen gab.
„Wie sehr ich mir wünschte, dass alles anders wäre", sagte Rebecca, nachdem das Mädchen wieder gegangen war, und zerdrückte das Taschentuch in den Händen.
„Wem sagen Sie das." Emeline nahm auf einem Sofa Platz und verwandte große Sorgfalt darauf, ihre Röcke zu ordnen. „Steht das Datum Ihrer Abreise schon fest?", fragte sie beiläufig.
„Ja, morgen."
Jäh sah Emeline auf. „So bald schon?"
„Samuel hat gestern noch ganz kurzfristig zwei Plätze bekommen", sagte Rebecca.
„Er meinte, wir könnten morgen schon abreisen und unsere Sachen dann mit einem anderen Schiff nachschicken lassen."
Emeline zuckte kurz zusammen. Samuel musste es ja wirklich eilig haben, England - und ihr - den Rücken zu kehren.
„Ist es, weil Sie ihn nicht lieben?", platzte Rebecca heraus.
Die Frage kam so plötzlich und unerwartet, dass Emeline ohne einen weiteren Gedanken antwortete. „Nein." Ihr stockte der Atem bei diesem einen Wort, das praktisch ein Geständnis war, und sie schüttelte rasch den Kopf. „Es gibt viele Gründe."
„Wollen Sie sie mir sagen?"
Emeline stand auf und ging hinüber an den Kamin. „Zunächst einmal Fragen des Rangs und des gesellschaftlichen Standes natürlich."
„Aber das ist nicht alles, oder?"
Emeline konnte es nicht ertragen, die junge Frau anzusehen, und so blickte sie stattdessen in das flackernde Feuer. „Sie kommen aus einem anderen Land, einem fernen Land. Ich glaube nicht, dass Samuel auf Dauer in England leben möchte."
Rebecca erwiderte nichts, doch ihr Schweigen schien nach einer Erklärung zu verlangen.
„Und ich muss an meine Familie denken." Emeline holte tief Luft. „Die nun zwar nur noch aus Daniel und Tante Cristelle besteht, aber die beiden sind auf mich angewiesen."
„Und Sie glauben, dass Daniel und Ihre Tante etwas dagegen hätten, mit Ihnen nach Amerika zu gehen?"
Wenn man es so ausdrückte, war ihr Einwand tatsächlich wenig glaubhaft. Tante Cristelle wäre zwar wohl wirklich wenig erpicht auf eine lange Seereise, doch was sprach dagegen, dass sie einfach in England blieb? Daniel hingegen wäre wahrscheinlich begeistert von der Vorstellung, nach Amerika zu gehen.
Emeline fuhr mit den Fingern über die gerafften Bänder an ihrer Taille. „Ich weiß es nicht." Als sie aufsah, begegnete sie Re-beccas fragendem Blick. „Sie haben mich alle verlassen: Rey-naud, mein Mann und mein Vater. Ich glaube nicht, dass ich das noch einmal über mich bringe - mein Wohlergehen jemand anderem anzuvertrauen."
Rebecca runzelte irritiert die Stirn. „Das verstehe ich nicht, Mylady. Samuel würde doch niemals zulassen, dass Ihnen irgendetwas geschähe."
Emeline lachte freudlos. „Ja, mit diesem Glauben bin ich aufgewachsen. Obwohl es nie laut ausgesprochen wurde, verstand es sich von selbst, dass die Männer der Familie mich immer beschützen würden und auf mein Wohlergehen bedacht wären, sodass ich niemals etwas zu fürchten hätte. Sie würden sich um all meine Belange kümmern, und ich müsste nichts weiter tun, als ihnen eine reizende Begleiterin zu sein und ein behagliches Heim zu schaffen. Aber es sollte bekanntlich anders kommen. Erst habe ich Reynaud an den Krieg in den Kolonien verloren, bald darauf starb Danny, und dann ist auch noch mein Vater ...", ihr stockte der Atem, da sie das noch nie zu jemandem gesagt hatte, „... und dann ist auch noch mein Vater gestorben und hat mich im Stich gelassen. Verstehen Sie denn nicht? Weil Reynaud bereits tot war, ging alles an einen Cousin: der Titel, das Anwesen, alles."
„Man hat Ihnen überhaupt nichts hinterlassen?"
„Doch, natürlich." Ungeduldig riss Emeline an den Bändern, bis sie Stoff reißen hörte. „Geld habe ich ja ganz offensichtlich genug. Das Einkommen der Gordons genügt für ein standesgemäßes Leben. Dass ich junge Damen in die Gesellschaft einführe, ist nur ein kleines Zubrot. Aber ich habe niemanden mehr, auf den ich mich stützen kann. Die Männer, die mir eine Stütze hätten sein sollen, sind allesamt fort. Ich muss alle Entscheidungen allein treffen, muss ganz allein für mich, Tante Cristelle und meinen Sohn sorgen. Ich muss mir Gedanken darüber machen, wie ich mein Vermögen am besten anlege und ob ich Daniel nach Eton schicken soll oder nicht. Ich
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