0381 - Die schwebenden Leichen von Prag
ab.
Obwohl er sich selbst als einen kampferprobten und abgebrühten Burschen bezeichnete, spürte er, wie in seiner Brust das Herz bis zum Hals hoch klopfte. Was er hier erlebte, gehörte in den Bereich der Magie, aber er hütete sich, dies zu verlachen. Seit einiger Zeit wußte er genau, daß es Dinge gab, über die er früher gelacht hatte.
Der Russe wartete. Den rechten Arm hielt er vorgestreckt, auch angewinkelt und drückte seinen Ellbogen als Stütze gegen den Boden, denn er visierte die erste Leiche an.
Die beiden anderen konnte er im Augenblick nicht sehen, sie hielten sich hinter dem Haus auf, aber der Tote, der gewissermaßen über dem Eingang schwebte, kam ihm gerade richtig.
Er sah schaurig aus und bewegte sich innerhalb der blauweißen Aura. Auch seine Gesichtszüge hatten diese Farbe angenommen, und die Arme lagen eng an den Körper gepreßt.
Der mußte doch mit einer Kugel aus der Luft zu holen sein!
Der Russe zielte. Einen Fehlschuß durfte er sich nicht leisten!
Von Kopanek war nichts zu sehen. Irgendwo hielt er sich verborgen, das dichte Unterholz schützte ihn vor forschenden und neugierigen Blicken. Der Russe atmete flach, sein Zeigefinger konnte mit einer knappen Bewegung den Druckpunkt überwinden.
Auf diesen einen Schuß kam alles an. Wenn er traf, würde der Russe genau sehen, wie weit er mit seiner Waffe oder mit normalen Kugeln kam und ob die Magie der anderen stärker war.
Er dachte an Zombies…
Da hatte er stets auf den Kopf gehalten, auch hier wollte er nicht gegen den Körper zielen.
Dann drückte er ab.
Äußerlich ein Eisblock, innerlich fieberte er, und dann zersprühte seine Hoffnung wie das Bleigeschoß, das in die Aura geriet.
Dem schwebenden Toten tat es nichts…
Der Russe hockte in der Deckung und spürte, wie das Blut allmählich zu kochen anfing. Er hatte mit ähnlichem gerechnet, dennoch war er überrascht und auch geschockt, daß er diese fliegende Leiche nicht hatte stoppen können. Unbeirrt setzte sie ihren Weg fort, eingehüllt durch den Schutzmantel aus blauweißem Licht.
Auch Petar Kopanek hatte den Schuß vernommen. Er wußte genau, wo der andere hingezielt hatte, und sein häßliches Lachen erschallte aus sicherer Deckung über die kleine Lichtung vor der Hütte.
Der Russe hatte zwar gewonnen, im Endeffekt trotzdem verloren, da es ihm nicht gelungen war, die Leiche zu stoppen.
Und sie schwebte davon.
Ohne daß der Mann aus Rußland etwas dagegen hätte unternehmen können, traf sie sich mit den beiden anderen Toten, so daß die drei eine Formation bilden konnten, die das Aussehen eines Pfeils besaß. Sie glitten schräg in die Höhe.
Ihr Ziel waren die Baumkronen, eingehüllt in die schützende Aura glitten sie darüber hinweg und waren den Blicken des Russen sehr bald entschwunden. Nur den sie begleitenden Lichtschein konnte er noch für eine Weile erkennen.
Und er vernahm das häßliche Gelächter seines Gegners. Der Tscheche hatte es gut. Er hockte in einer sicheren Deckung, war selbst nur durch einen Zufallstreffer zu erwischen. Das sehr bald auch nicht mehr. An den brechenden Geräuschen erkannte der Russe, daß es der Tscheche vorzog, das Weite zu suchen.
Er hatte sie genarrt.
Einen Erfolg konnte der Russe verbuchen. Es war ihm gelungen, das Leben des Geisterjägers zu retten. Da hatte ihn das Schicksal noch gerade rechtzeitig hergeführt.
Wichtig war auch Dinek. Er hatte sich nicht gemeldet, war durch das Dach gefallen, und es lag durchaus im Bereich des möglichen, daß er sich Verletzungen zugezogen hatte.
Der Russe wollte nach ihm schauen.
An dem noch immer bewußtlosen John Sinclair lief er vorbei in das Haus hinein.
In der Finsternis konnte er sich nur mit Hilfe seiner Taschenlampe orientieren.
Er leuchtete nach links, sah die Treppe und lief rasch hoch.
Oben gab es zwei Zimmer. Als er die Tür zum ersten aufriß, spürte er bereits den Durchzug. Über ihm zeigte das Dach ein großes Loch. Der fallende Körper hatte nicht nur Schindel zerfetzt, sondern auch ein Teil des Gebälks zerstört. Er selbst lag inmitten der Trümmer, die sich bis hin zur Tür verteilt hatten.
Mit dem Fuß kickte der Russe einige Hindernisse aus dem Weg und ging neben Dinek in die Knie.
Der Mann lebte.
Aber er hatte Schmerzen. Sein Gesicht war verzerrt, der Atem ging röchelnd. Aus nassen Augen starrte er den Russen an.
»Was ist los?« fragte dieser.
»Mein… mein Rücken …«
»Kannst du dich bewegen?«
»Nein, ich muß mir etwas gebrochen
Weitere Kostenlose Bücher