0381 - Die schwebenden Leichen von Prag
so oft spürte ich das Pudding-Gefühl in den Knien, machte die ersten, zögernden Schritte und stellte fest, daß es klappte. Besser sogar, als ich vermutet hatte.
»Okay?« fragte mich der Russe, indem er ein amerikanisches Wort benutzte.
»Einigermaßen.«
»Wir werden mit dem Hubschrauber nach Prag fliegen und dort versuchen, die Spur erneut aufzunehmen.«
»Sie haben eine?«
»Nein«, erwiderte er zögernd. »Doch ich streckte meine Fühler bereits aus. Vielleicht haben wir Glück.«
»Das hoffe ich.« Golenkows letzte Worte hatten mir bewiesen, daß der KGB bereits am Ball war. Ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht, das wußte ich nicht. Jedenfalls arbeitete Golenkow nicht gegen mich, das wußte ich von unserem ersten Fall aus Rußland.
Ich wollte nicht undankbar sein und auch nach Josef Dinek schauen. Also ging ich in das Haus, stieg die Treppe hoch und fand ihn in einem der oberen Zimmer.
Sein Gesicht war verzerrt. Den Kopf hatte er ein wenig angehoben. »Du… du lebst?« fragte er.
»Ja.«
»Ich auch. Aber verdammt, ich habe das Gefühl, als hätte man mich in der Mitte entzweigebrochen.«
»Das geht vorbei.«
»Ich weiß nicht. Es ist alles so beschissen. Die anderen sind besser, John. Sieh dich vor! Dieser Kerl ist unberechenbar! Ich habe ihn gesehen.«
Das war eine Überraschung. »Du kennst ihn?«
»Ja. Ich sage es dir, nicht dem Russen. Verdammt, ich mag die Brüder nicht. Hör genau zu, John! Er heißt Petar Kopanek. Als ich in der Luft schwebte, konnte ich ihn deutlich erkennen, weil er auch im Licht stand. Er befindet sich auf unserer Liste.«
»Moment mal«, sagte ich. »Was heißt Liste? Wird er als politischer Gegner gesucht?«
»Nein, kein Dissident. Damit hat er nichts zu tun. Aber er ist ein Spinner, ein Mann, der durch seine Theorien auffiel. Eigentlich ist er Historiker, doch er hat sich in den Schädel gesetzt, den Golem von Prag zu finden, den künstlichen Menschen… Er wollte sich auf die Spuren des Rabbi Loew setzen, der angeblich den künstlichen Menschen erfunden haben soll, und von dem Goethe damals fasziniert gewesen ist, obwohl der Rabbi schon lange tot war. Dieser Kopanek hat immer behauptet, daß es den Golem gibt. Man muß ihn nur finden.«
»Bisher hatte er keinen Erfolg.«
»Nein, nur die schwebenden Leichen gehorchen ihm. Wie sie allerdings mit dem Golem in Verbindung zu bringen sind, kann ich dir auch nicht sagen. Das mußt du herausfinden.«
»Ich werde es.«
»Und ich drücke dir die Daumen, Engländer. Weißt du, irgendwie mag ich dich.«
»Okay, du wirst es schaffen, alter Freund.« Ich nickte ihm zu und wurde abgelenkt durch das typische Geräusch eines heranfliegenden Hubschraubers. An der Tür grüßte ich noch einmal und ging nach unten.
Der Russe wartete vor der Tür. Erfaßt wurde er vom hellen Lichtschein eines Scheinwerfers. Durch Zeichen gab Golenkow dem Piloten zu verstehen, wo er landen sollte.
Durch den Wind der Rotorblätter bewegten sich die Blätter der Bäume. Zweige schwangen in alle möglichen Richtungen. Und dann setzte die Maschine auf der Waldlichtung auf.
Zwei Soldaten stiegen mit einer Trage aus. Sie erkundigten sich nach dem Verletzten und wurden von uns in die erste Etage geschickt.
»Wie geht es ihm?« fragte Wladimir.
»Den Umständen entsprechend. Er hat starke Schmerzen.«
Der Russe zog die Mundwinkel nach unten und verengte die Augen. »Ich habe das Gefühl, daß es ihn böse erwischt hat. Die Symptome sind mir bekannt. Der kann bis zu seinem Lebensende gelähmt bleiben.«
Diese Antwort trieb mir den Schweiß auf die Stirn.
»Tja, so sieht es aus«, sagte der Russe und drehte sich wieder um.
Er wollte mit dem Mann sprechen, der den Hubschrauber als dritter verlassen hatte und eine Uniform trug. Es war ein tschechischer Offizier.
Ich wartete auf Dinek. Schon bald wurde er an mir vorbeigetragen. Als er mich sah, winkte er mir zu, und über seine Lippen huschte ein flüchtiges Lächeln.
Ich hielt seine Hand für einen Moment und drückte sie. »Kopf hoch, Kamerad, es wird schon wieder!«
»Das glaube ich nicht«, sagte er leise und wurde zum Hubschrauber getragen. Wahrscheinlich kannte er sein Schicksal schon.
Golenkow winkte mir zu. »Kommen Sie!« rief er. »Wir werden gleich starten.«
Ich ging auf den Hubschrauber zu. Man hatte den Einstieg für mich geöffnet. Die Trage mit dem Verletzten war festgestellt worden. Der tschechische Offizier begrüßte mich korrekt.
Ich nickte zurück.
Der Russe
Weitere Kostenlose Bücher