0382 - Claudines Schreckensnacht
mit gefräßig aufgestülpter Schnauze.
Claudine hatte Angst. Sie fror, obgleich es noch warm war. Aber sie kehrte nicht wieder ins Haus zurück. Sie holte keine Jacke. Einen Fuß setzte sie vor den anderen und bewegte sich langsam am Straßenrand vorwärts, dem Wald entgegen. Bergauf.
Sie suchte die Einsamkeit.
Es ging nicht mehr weiter. Sie brachte nur Unglück in diese Welt. Für sich, für ihre Eltern, für andere. Es mußte ein Ende finden.
Die letzten Häuser blieben hinter ihr zurück. Der Schatten des nahen Waldes nahm sie auf und verschluckte sie wie ein schwarzes Loch.
***
Ein Augenpaar registrierte Claudines Weggang. Norman Lafayette fand keine Ruhe. Er sah, wie Claudine das Haus ihrer Eltern verließ und sich ortsauswärts wandte.
Wohin will sie? fragte er sich. Was hat sie um diese Stunde vor? Es ist später Abend, und sie ist erst fünfzehn!
Wieder spürte er, daß er sich um sie sorgte, obgleich sie ihm eigentlich gleichgültig hätte sein müssen, nach allem. Aber er fühlte sich ihr immer noch verbunden. Auch wenn sie nichts von ihm wissen wollte. Auch, wenn ihre und seine Eltern alles andere als begeistert davon waren.
Lafayette hatte ein ungutes Gefühl. Claudine trug einen Pullover, Jeans und Turnschuhe. Nicht die richtige Kleidung, wenn sie tatsächlich einen nächtlichen Waldspaziergang beabsichtigte. Etwas stimmte nicht.
Norman Lafayette legte weder sich noch jemand anderem Rechenschaft darüber ab, was er tat. Er schlüpfte in die festen Schuhe, in die Lederjacke und verließ das Haus. Gerade tauchte ein Abschleppwagen auf. Gelbe Rundumleuchten flackerten. Drei Männer sprangen aus dem Wagen und umrundeten den Mercedes.
Norman Lafayette kümmerte sich nicht darum. Es wunderte ihn zwar etwas, daß die Arbeiter zu so später Stunde noch im Einsatz waren, aber es war nicht sein Problem. Er folgte Claudine Focault.
Aber er hatte durch sein anfängliches Zögern und Überlegen Zeit verloren. Als er den Ortsrand erreichte, konnte er Claudine nicht mehr sehen. Sie mußte bereits im Wald verschwunden sein.
Etwas in ihm verkrampfte sich. Er konnte keinen entfernten Taschenlampenschein erkennen. Er hatte Angst um Claudines Sicherheit und ahnte, daß etwas Böses geschehen mußte. Schneller wurden seine Schritte.
Hinter ihm zerplatzte das Glas der letzten Straßenlaterne am Ortsrand. Norman Lafayette nahm es nicht wahr.
***
Lucifuge Rofocale beobachtete unentwegt, ohne Müdigkeit zu zeigen. Sie gab es für den Dämon nicht. Er war mit der Entwicklung zufrieden. Zamorra und die Druidin hatten das Feld geräumt.
Ihm war klar, daß sie zurückkehren würden. Aber das war nebensächlich, weil es zumindest Stunden dauern würde. Zwischenzeitlich konnte er das Experiment unbehelligt weiter verfolgen.
Nebenbei registrierte er, daß ein Mädchen das Dorf verließ. Der Junge folgte. Das war schon interessant. Die Poltergeist-Kraft bestand immer noch, sie wirkte erstaunlich lange. Das gefiel dem Erzdämon. Selbst wenn er davon ausging, daß in den Tiefen der Hölle andere Voraussetzungen galten, würde es reichen, Eysenbeiß endgültig in Verruf zu bringen. Wenn es Lucifuge Rofocale gelang, Eysenbeiß ein Poltergeist-Phänomen dieser Art aufzuzwingen, entstand Aufruhr, Mord und Totschlag in Eysenbeißens nächster Umgebung. Wie stark das Psi-Feld war, hatte es bewiesen, als der Motor aus dem Wagen gelöst wurde. So etwas hatte bisher nicht einmal Lucifuge Rofocale erlebt.
Der Dämon war zufrieden.
Vor allem, weil er nur abzuwarten brauchte, ohne noch etwas tun zu müssen. Sein instinktives Eingreifen und Verstärken des Kraftfeldes vorhin hatte die Grundlage des Versuches nicht gestört.
Alles nahm seinen geregelten Lauf.
***
Zamorra stoppte den Wagen vor dem Haus der Focaults. Zufrieden sah er, wie die Arbeiter den Mercedes mit einer Motorwinde auf die Transportplattform des Abschleppwagens zogen. Einer winkte ihm kurz zu, als Zamorra ausstieg; offenbar hatte er den Mietwagen erkannt. Zamorra winkte zurück und ging zur Haustür, ohne sich weiter um die Arbeit zu kümmern. Die Männer wurden auch ohne sein Zusehen und seine Bemerkungen fertig, und er hatte keine Lust, mit ihnen darüber zu diskutieren, wieso fünf Reifen platzen und der Mercedes seinen Motor verlieren konnte. Es war ihm auch egal, wie sie es anstellen wollten, den mehr als zentnerschweren, großen Motor ohne Kran und Flaschenzug von der Straße zu schaffen. Muskelkraft allein würde da kaum ausreichen. Aber das war auch
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