039 - Der schwarze Abt
Bürovorsteher der Firma Gine & Gine und nunmehr Privatier, konnte in gewissem Sinne als harter Mann angesehen werden. Er vergab nicht die kleinste Kränkung und ließ es sich Zeit und Geld kosten, um mit einem Beleidiger abzurechnen. Und Arthur Gine hatte ihn mehr als jeder andere gekränkt.
Bis vor einigen Tagen glaubte er, das Schicksal des Anwalts in Händen zu haben. Doch die Wechsel, die er durch seine Bank präsentieren ließ, wurden anstandslos honoriert. Also mußte er neue Rachepläne ersinnen.
Vor zwei Tagen, einige Stunden nach der nächtlichen Auseinandersetzung mit Dick Alford, war Gilder nochmals zu den Ruinen zurückgekehrt. Dort war er noch auf einen anderen gestoßen, den es nach dem Schatz gelüstete, und unsichtbarer Zeuge des Auftritts zwischen Arthur Gine und Dick Alford geworden.
Darauf war er Gine zum Willow-Haus gefolgt, und zwar zunächst in der freundschaftlichen Absicht, seine Hilfe bei der Schatzsuche anzubieten. Doch wie wurde seine Hilfsbereitschaft aufgenommen? Der Anwalt, noch kochend vor Wut über den Sarkasmus Alfords und voller Mißtrauen über das Auftauchen eines Angestellten, hatte ihn Knall und Fall entlassen!
Wenn Gine schlechter Laune war, pflegte er Ausdrücke zu gebrauchen, die kein Mensch mit ein wenig Selbstachtung hinnehmen konnte. Mochte Gilder auch Buchmacher sein, ein Dieb war er deshalb noch nicht!
Es dauerte zwei Tage, bis der Riß in der Lippe, den er bei dem Handgemenge davongetragen hatte, zusammenheilte. Am Abend des zweiten Tages zog er sich besonders sorgfältig an und suchte die Adresse auf, die er sich genau notiert hatte.
Mary Wenners Wohnung in der Baker Street lag im obersten Stockwerk und bot eine unbehinderte Aussicht auf die Stadtbahn und den regen Straßenverkehr. Es gab keinen Aufzug in dem Haus, und Mr. Gilder fluchte innerlich, als er die vielen Treppen erklomm und schließlich außer Atem oben ankam.
Marys Personal bestand aus einer ältlichen Witwe, die, ein kleines weißes Häubchen kokett auf dem Kopf, Mr. Gilders Karte entgegennahm, um ihn gleich darauf in den Salon zu führen.
»Welch unerwartetes Vergnügen, Mr. Gilder«, begrüßte ihn Miss Wenner. »Nehmen Sie bitte Platz.«
Sie trug ein einfaches Hauskleid und sah recht hübsch aus. Das Zimmer war geschmackvoll, doch nicht kostbar möbliert und sah ganz so aus, als ob sie es mit eigenem Geld nach und nach eingerichtet hätte. Das gefiel ihm. Denn Fabrian Gilder war eine Mischung von Puritaner und Abenteurer.
»Ich bin eben erst heimgekommen und wollte gerade Tee trinken. Darf ich Ihnen ein Täßchen anbieten?«
»Arbeiten Sie wieder?« fragte er.
»Nein, ich bin zur Zeit nicht tätig.« Auf das letzte Wort legte sie eine gewisse Betonung, als wollte sie ihn korrigieren. Nach ihrer Meinung ›arbeiteten‹ nur die gewöhnlichen Leute, die feineren ›waren tätig‹.
Sie verschwand durch eine Art Schranktür. Er hörte das Klappern von Geschirr und das ›Plom‹ beim Anzünden der Gasflamme. Als sie nach einer Weile mit dem Tee wieder eintrat, plauderte sie munter drauflos.
»Ich bekomme selten Besuch, Herrenbesuch schon gar nicht, darin kann man nicht vorsichtig genug sein, finden Sie nicht, Mr. Gilder? Der gute Ruf ... Das habe ich auch stets zu Harry gesagt - entschuldigen Sie, ich meine Lord Alford, den Grafen von Chelford. Wir waren nämlich so gute Freunde, daß ich ihn beim Vornamen nannte.«
»Und waren Sie mit Richard Alford auch so gut befreundet?« fragte er mit dezentem Spott.
»Der -?« Sie rümpfte die Nase. »Von Dick Alford nahm ich nicht mehr Notiz als von den übrigen besseren Dienstboten. Er mag tausendmal in Eton und Harrow erzogen worden sein - ich beurteile einen Mann nach seinen Manieren und nicht nach seiner Erziehung. Und Dick Alford hat Manieren wie ein Stallknecht ...«
»Sie sind mit Gine befreundet, nicht wahr?« warf Mr. Gilder ein, während er die Teetasse zum Munde führte.
Mary Werner senkte verwirrt die Augen.
»Ja, gut befreundet, mehr nicht. Er hat mich stets als Dame behandelt. Warum fragen Sie?«
»Ich habe gekündigt«, erklärte er kurz. »Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit - ja, man kann es auch eine stürmische Auseinandersetzung nennen, die sogar in Schläge ausartete, wie ich Ihnen offen gestehen will, da Sie es wahrscheinlich doch früher oder später von ihm selbst erfahren.«
Mary war entsetzt, und wenn sie entsetzt war, hielt sie immer ihre weiße Hand vor ihren etwas groß geratenen Mund.
»Schläge, sagen Sie?
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