039 - Der schwarze Abt
Schon gestern abend hatte er seine Antwort aufgesetzt. Jetzt holte er sie hervor und las sie durch, um sich nochmals die Wirkung auf Leslie Gine auszumalen und sich an seiner eigenen Großzügigkeit zu berauschen.
›Liebe Leslie,
Dank für Ihren Brief! Ich zweifle nicht, daß Sie Ihr Wort halten werden. Als Antwort finden Sie beiliegend einen Blankoscheck. Fügen Sie den Betrag ein, den Ihr Bruder benötigt, um sich aus seiner fatalen Lage zu befreien. Die Bank ist angewiesen worden, den Scheck anstandslos zu honorieren.
Fabrian.‹
Es war bezeichnend für den Mann, der bei drei verschiedenen Banken ein Konto besaß, daß er den Scheck auf diejenige ausstellte, bei der sein Guthaben ziemlich genau der Höhe von Arthur Gines Verbindlichkeiten entsprach. Er hätte ebensogut den geforderten Betrag gleich einsetzen können - aber in der Übersendung eines Blankoschecks lag etwas Nobles, und der Eindruck mußte entstehen, als gäbe er ihr Carte blanche auf sein ganzes Vermögen.
Er legte den Brief weg. Wenig später läutete das Telefon. Sein Nachfolger in Gines Büro meldete sich.
»Seit Sie uns verließen, Mr. Gilder«, berichtete der neue Bürovorsteher, »haben wir den Chef nicht mehr zu sehen bekommen. Noch verwunderlicher ist, daß er auch die ihm zur Unterschrift nach Chelfordbury gesandten Briefe nicht zurückschickt. Wissen Sie vielleicht etwas von ihm?«
Gilder beschwichtigte den Aufgeregten mit der Versicherung, daß Gine, der einige Tage unpäßlich gewesen sei, sich bestimmt demnächst im Büro zeigen werde.
Im stillen beunruhigten ihn die Ereignisse in Chelfordbury selbst genug. Wer konnte wissen, was alles sich dort im geheimen wirklich abgespielt hatte?
Er schickte das Hausmädchen zum Zeitungsstand hinunter, um eine zweite Ausgabe zu holen, doch kam es mit leeren Händen zurück, da Regent's Park noch nicht beliefert worden war. Er entschloß sich daher, zum Piccadilly Circus oder, wenn nötig, sogar bis ins Zeitungsviertel zu fahren.
Doch schon am Oxford Circus wurden die zweiten Morgenausgaben angeboten.
»Furchtbares Verbrechen in Sussex!« schrie der erste Zeitungsverkäufer. - »Gräflicher Schloßbesitzer verschleppt und ermordet!« brüllte ein anderer.
Fabrian Gilder fuhr in seinem Wagen hoch, hielt an und winkte einem Verkäufer, dem er das Blatt förmlich aus der Hand riß. ›Doppeltragödie auf einem Gut in Sussex‹ und ›Der Graf von Chelford von einem unbekannten Mörder verschleppt‹ lauteten die Schlagzeilen. Er fuhr in die nächste ruhige Straße, hielt von neuem an und las:
›Im Park von Fossaway, einem schönen alten Tudorschloß, das seit Jahrhunderten Sitz der Grafen von Chelford ist, wurden gestern nacht gegen elf Uhr wilde Schreie gehört, worauf der Honourable Richard Alford, der einzige Bruder des jetzigen Grafen, in Begleitung von Detektivsergeant Puttler, der als Gast im Schloß weilt, sofort hinauseilte. Zu ihrem Entsetzen fanden sie die Leiche eines Mannes in der Tracht des legendären Schwarzen Abtes. Während die sofort gerufene Ortspolizei noch mit den Erhebungen beschäftigt war, wurde ein zweites Verbrechen begangen. Alice Barter, eines der Hausmädchen, hörte gegen ein Uhr aus dem Schlafzimmer des Grafen, das unter dem ihren liegt, wüsten Lärm. Da sie vor Schreck einen Schock oder eine Ohnmacht erlitt, konnte sie den Vorfall erst um vier Uhr morgens melden. Als man die Schlafzimmertür Lord Alfords aufbrach, zeugte das zertrümmerte Mobiliar von einem furchtbaren Kampf. Entweder bewußtlos oder tot ist der Graf aus dem Fenster geworfen und, wie die Spuren auf dem Kiesweg beweisen, fortgeschleift worden. Alle Nachforschungen nach seinem Verbleib sind bis zum Zeitpunkt dieser telefonischen Meldung unseres Berichterstatters resultatlos verlaufen. Die Untersuchung leitet Mr. Puttler von Scotland Yard.‹
Juristisch geschult, erkannte der einstige Bürovorsteher mit einem Schlag die ganze Kette von Verstrickungen und Konsequenzen, in die diese Tragödie ihn unfehlbar hineinzog. - Thomas, ein entlassener Sträfling, der in seinem Wochenendhäuschen Unterschlupf findet, begibt sich unter mysteriösen Umständen auf einen Raubzug und wird ermordet. Lord Alford, bis vor kurzem mit der Dame verlobt, die Gilder selbst erringen will, verschwindet unter Umständen, die keinen Zweifel an seinem Tod lassen. -Sogleich begann Fabrian Gilder, sich seine Aussagen zurechtzulegen, an ihrer Formulierung zu feilen.
Als er vor seiner Wohnungstür stand, merkte er, daß er
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